Das neue Museum aus architektonischer Sicht:Aus tiefem Schlaf

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Wie der St.-Jakobs-Platz die Kunst des Städtebaus belebt.

Gerhard Matzig

Im Wörterbuch findet man den "Platz" zwischen Plattwanze und Plauze. Wir verbinden mit ihm die Platzangst oder die Platzwunde. Es ist ein Unwort, das sich nicht an den Stadtbewohner, sondern an dessen Hund richtet: Platz!

Das ist kein Zufall, denn nichts ist so sehr auf den Hund gekommen wie die Kunst, einen Platz zu erschaffen. Einen Ort, der sich mit den Worten Camillo Sittes beschreiben ließe. Sitte schrieb im 19. Jahrhundert: "Zu verweilen! Könnten wir das öfter wieder an diesem oder jenem Platze, an dessen Schönheit man sich nicht sattsehen kann . . ."

Aus tiefem Schlaf

Diese Hoffnung hat sich kaum erfüllt. Im Gegenteil: Der zeitgenössische Platz ist selten mehr als ein Stück Restgrün im Gefüge mehrspuriger Stadtautobahnen und autistischer Hausscheiben. Plätze werden im Städtebau verwendet wie billige Quecksilberlegierungen beim Zahnarzt.

Vor diesem Hintergrund lässt sich der umgestaltete St.-Jakobs-Platz nicht genug rühmen. Nun, da neben Synagoge und Gemeindezentrum auch das Jüdische Museum eröffnet ist, zeigt sich die urbane Strahlkraft dieses Platzes, der schon jetzt vitalisierend wirkt - noch vor seiner endgültigen Gestaltung im Sommer mit Bäumen, Bänken, Brunnen und einem anspruchsvollen Belag aus Granit.

Fotografisch wird man diesen Platz erst nach seiner Vollendung ausreichend würdigen können, aber in seiner räumlichen Dynamik überzeugt der Platz schon jetzt. Man spürt sogar, dass es umgekehrt ist: Nicht die Stadt hat der Jüdischen Gemeinde einen ihrer zentralsten Orte überlassen, sondern die Gemeinde hat der Stadt einen wahrhaftigen Stadt-Platz zurückerobert.

Noch im Mittelalter war der St.-Jakobs-Platz ein wichtiger Baustein des Stadtgefüges. In seiner Mitte standen Feuerwehrhaus und Baustadel - jedoch ohne Bezug zur Umgebung. Im 20. Jahrhundert ist der Platz vollends in tiefen Schlaf gesunken: vollgemüllt mit Parkplätzen und Streusandkisten. Jetzt aber ist zu erleben, wie der Platz als Herzschrittmacher auftritt. Er wirkt anregend, indem er Oberanger und Sebastiansplatz miteinander in Beziehung setzt. Vom Café des Jüdischen Museums aus lässt sich sogar die Geometrie des Gärtnerplatzviertels in den Blick nehmen.

Bauchig gekrümmt

Die Architekten (Wandel, Hoefer, Lorch) haben drei steinsichtige Kuben auf dem nur 1,1 Hektar großen Grundstück geschickt angeordnet: Synagoge, Gemeindezentrum und Jüdisches Museum beschreiben, räumlich gegeneinander versetzt, eine Art kantigen Bogen. Im Grunde sind so zwei fast unmerklich ineinander übergehende Plätze entstanden.

Zur dominanten Raumfigur des Stadtmuseums, das sich bauchig krümmt, entsteht ein großzügig dimensionierter, beschwingt auf das Stadtmuseum antwortender Platz. Und in Richtung Jüdisches Museum bildet sich daraus ein zweites, intimeres Geviert.

Am Ort des Übergangs dieser beiden Zonen, dort, wo die Fluchtlinie des bossenartig strukturierten Steinsockels der Synagoge auf die feinnerviger ausgeführte Lochfassade des Gemeindezentrums zielt, spürt man das gassenartige, urbane Sich-Öffnen des Platzes. Im Sommer wird man den vollendeten Platz auf Anhieb begreifen. Aber schon jetzt ist die überzeugend gegenwärtige Interpretation der Stadtbaukunst zu ahnen.

© SZ vom 22.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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