Zeitzeugengespräche:Erinnerung an den Hessentaler Todesmarsch

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Felix Klein (links) und Norbert Lammert (rechts) ehren die Sieger des Jugendwettbewerbs denkt@g Aaron und Raphael Haas in Berlin. (Foto: Jeannette Kreiser/Konrad-Adenauer-Stiftung)

Raphael und Aaron Haas haben ihre Gespräche mit Zeitzeugen veröffentlicht. Dafür sind sie jetzt ausgezeichnet worden

Von Hannah Becker, Dachau/Berlin

In der Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus werden die Todesmärsche zu Kriegsende, bei denen mehrere Tausend Häftlinge tagelang ohne Essen oder Erholung laufen mussten und oft brutal ermordet wurden, nur selten erwähnt. Die beiden Jurastudenten Raphael und Aaron Haas haben sich mit diesem oft vergessenen Thema lange beschäftigt. Das Ergebnis unter dem Titel "Todesmärsche im April 1945. Unendlich war der Strom - unendlich war das Elend - unendlich war das Leid" ist eine umfangreiche Sammlung an Zeitzeugengesprächen sowie ursprünglich schwer zugänglichem Bild- und Kartenmaterial zum Thema.

Die Brüder hatten sich dafür interessiert, da der Hessentaler Todesmarsch nach Dachau direkt durch ihren Heimatort Neunheim führte. Neunheim liegt südöstlich von Ellwangen. Im Steinbruch in der Nähe wurden 27 getötete Häftlinge verscharrt, viel Aufmerksamkeit bekommt die Vergangenheit dort jedoch nicht: "Auf unser Thema wurden wir aufmerksam, weil die Todesmärsche damals durch unsere unmittelbare Gegend verliefen und wir dennoch nichts darüber in der Schule erfahren haben. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, das Interesse zu wecken und das Augenmerk auf die Vergangenheit zu legen", sagt Aaron Haas.

In zahlreichen Gesprächen mit Zeitzeugen, die sie als Tonspur, untermalt mit Bildern ihrer Treffen, veröffentlicht haben, versuchen die Brüder, einen Eindruck von den damaligen Geschehnissen zu geben. Außerdem wollen sie sich jetzt für ein Mahnmal in Neunheim einzusetzen. Bislang gibt es nur sehr schwer zugängliche oder unauffällige Gedenktafeln.

Die Stadt Ellwangen, zu der der Ort gehört, lehnte dieses Anliegen bislang allerdings mit der Begründung ab, sie halte den gewünschten Platz neben einer Kapelle, an der auch die Häftlinge damals vorbeizogen, für "keinen guten Ort zum Gedenken". Die Studenten geben auf ihrer Website an, auch weiterhin für ein Mahnmal in Neunheim kämpfen zu wollen.

Als leidenschaftliche Pianisten setzten sich die beiden Studenten auch mit der Klaviersonate 27. April 1945 von Karl Amadeus Hartmann auseinander. Der Münchner Komponist hatte vom Haus seiner Schwiegereltern in Starnberg-Kempfenhausen aus den Dachauer Todesmarsch beobachten können. Ein Häftling hatte sogar völlig ausgehungert an der Tür geklingelt, um Brot zu erbitten. Diese Erlebnisse verarbeitete Hartmann, der sich zu diesem Zeitpunkt ohnehin in innerer Emigration befand, in seiner Sonate. Bemerkenswert ist besonders der dritte Satz, der Trauermarsch Marcia funebre. Diesen analysierten die Brüder intensiv und Raphael Haas interpretierte das Stück sogar selbst. Auch der Titel der Webseite entstammt den Notizen Hartmanns zu den Ereignissen im April 1945.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat das Projekt von Raphael und Aaron Haas jetzt mit dem ersten Platz beim denkt@g-Wettbewerb ausgezeichnet. Er ist mit 3000 Euro dotiert. Unter dem Motto "Hinsehen, Einmischen, Mitmachen" hatte die Stiftung Jugendliche dazu aufgerufen, sich mit Nationalsozialismus und Shoa, aber auch aktuellen Fragen zu Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus auseinanderzusetzen. Bei der Festveranstaltung in Berlin wurden Raphael und Aaron Haas in Anwesenheit von Norbert Lammert, dem ehemaligen Bundestagspräsidenten und heutigem Vorsitzenden der Stiftung sowie Felix Klein, dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, geehrt. Die Ergebnisse der Brüder sind unter www.denktag.de/2018_TodesmarschVonDachau im Netz einzusehen.

© SZ vom 31.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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