Vor dem Münchner Landgericht:Autist kommt auf freien Fuß

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27-jähriger Münchner kommt nach Überfall auf eine Frau nicht in die Psychiatrie, muss sich aber Kontrollen unterziehen

Von Christiane Bracht, Dachau/München

Ihm fiel sichtlich ein Stein vom Herzen. Das bang erwartete Urteil des Landgerichts München II für einen 27-jährigen Münchner war fast schon ein Befreiungsschlag: Er darf die Psychiatrie wieder verlassen. Und so entfuhr ihm gleich nach der Verkündung, was Richter sehr selten hören, ein erleichtertes "Vielen herzlichen Dank". Doch ganz so einfach sei es nicht, ermahnte ihn der Richter sofort. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sei nur zur Bewährung ausgesetzt. Der 27-Jährige müsse nun "engmaschige Kontrollen" über sich ergehen lassen, "auch wenn dies stressig wird", und er müsse dem ärztlichen Rat Folge leisten, egal, worin er bestehe. Denn man wolle auf jeden Fall verhindern, dass es noch einmal zu einer gefährlichen Körperverletzung wie im Oktober vergangenen Jahres komme.

Der Münchner, der an Autismus leidet und sich deshalb sehr schwer tut, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, wie die Gutachter im Laufe des Prozesses bestätigten, war damals völlig ausgerastet. Er hatte sich in seine Arbeitskollegin, eine 40-Jährige aus dem Landkreis Dachau, verliebt. Als er ihr seine Gefühle offenbarte, wies sie ihn mit den Worten zurück: "Wir nehmen beide Medikamente, das geht nicht." Daraufhin sprach er drei Monate lang kein Wort mehr mit ihr. Erst im Oktober fasste er noch einmal Mut, schrieb ihr einen Liebesbrief, machte ihr Geschenke und warb erneut um sie. Doch ohne Erfolg. Es war nicht die erste Ablehnung, die der 27-Jährige von einer Frau kassierte, und so zog er sich verletzt und enttäuscht zurück. Statt zu arbeiten, setzte er sich in ein Gebüsch nahe der Caritas-Werkstätten in Dachau, wo er beschäftigt war, rauchte eine Zigarre und hörte Musik. "Ich wollte mit ihr reden, ihr sagen, wie wichtig sie mir ist", erklärte der Beklagte dem Richter. Als die 40-Jährige vorbeikam, sprang er heraus, rief nach ihr, doch sie hörte ihn nicht, unterhielt sich nur mit einem anderen Arbeitskollegen. Da packte den Münchner die Wut, er griff eine Flasche, die am Wegesrand lag, schlug sie ihr von hinten über den Kopf, sodass sie brach, riss die Frau zu Boden und traktierte sie wie wild mit seinen Fäusten. Passanten wurde durch die Schreie der Frau aufmerksam, eilten ihr zu Hilfe. Doch erst als sie näher kamen, ließ der 27-Jährige von ihr ab. Sie trug eine aufgerissene Oberlippe und zwei Platzwunden davon, eine musste genäht werden. Sie war vier Wochen krank geschrieben. Ihre Brille hatte der Beklagte zertreten.

"Es war eine blöde Kurzschlusshandlung", gab der 27-Jährige vor Gericht zu. "Ich bereue es wirklich, sie geschlagen zu haben. Es hat mich selbst traumatisiert."

Nach der Tat kam er ins Isaramperklinikum München Haar. "Es war nicht der erste gewalttätige Vorfall", sagte der Richter. Das habe die Kammer nachdenklich werden lassen. Er ließ keinen Zweifel daran, dass man den Münchner für schuldunfähig halte und dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik schon wegen seiner Krankheit vorliegen. "Wir haben lange überlegen müssen", gab der Vorsitzende zu. Doch man wolle den 27-Jährigen nicht einfach wegsperren. Denn in Haar werde seine Krankheit nicht richtig behandelt. "Außerdem haben Sie Warnsignale ausgesendet an die Mutter, an Sozialpädagogen und Betreuer. Doch diese haben sie nicht richtig interpretiert", erklärte der Richter weiter. Zugunsten des Beklagten spreche auch, dass die sechs Monate des "Eingesperrtseins" eine "gewaltige Wirkung" auf ihn hatten. Um normal am Leben teilnehmen zu können ohne Aggression, müsse er alle Ärzte und Betreuer von ihrer Schweigepflicht entbinden, damit diese sich austauschen können. Im Falle einer Krise könnten sie dann rechtzeitig intervenieren. Er muss in kurzen Abständen Betreuer und Ärzte aufsuchen, Urin- und Blutproben abgeben, damit er nicht wieder heimlich die ihm verordneten Medikamente absetzt. Vor der Tat hatte er dies gemacht. Auch Alkohol und Energydrinks sind nun strikt verboten. Zudem wird das Zimmer, das er bei seiner Mutter bewohnen soll, kontrolliert. Die 40-Jährige darf er nicht mehr kontaktieren.

© SZ vom 12.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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