Versöhnungskirche:Szenische Lesung für Regimekritiker

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Wegen angeblicher Wehrkraftzersetzung wurde der evangelische Kirchenjurist Friedrich von Praun im Oktober 1943 von der Gestapo verhaftet. Bereits vorher war er wegen regimekritischer Äußerungen denunziert worden. Ein Pfarrer der NS-hörigen "Deutschen Christen" hatte 1934 ausgesagt, von Praun habe zu ihm gesagt: "Was seid ihr Nationalsozialisten? Zusammengelaufenes Gesindel. Jetzt tun Sie mich nach Dachau." Im März 1934 gab von Praun bei antisemitischen Boykottaktionen der Nazis in seiner Heimatstadt Ansbach den Impuls zum Protest der Kirchenleitung beim NSDAP-Ministerpräsidenten: "Die Mitmenschen warten darauf, dass einer den Mut aufbringt, gegen diese Demagogie Widerstand zu leisten."

Die evangelische Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte in Dachau erinnert an Friedrich von Praun an dessen 75. Todestag am Karfreitag, 19. April. Beginn ist um 15 Uhr. Der Gedenkgottesdienst wird gestaltet durch die Uraufführung einer szenischen Rezitation aus Originalquellen aus dem Umfeld des politischen Verfahrens gegen Friedrich von Praun. Er selbst kommt zu Wort, seine Frau, sowie an seiner Verfolgung beteiligte Nationalsozialisten vom Gestapobeamten bis zum Staatsanwalt, sowie die beiden jungen Frauen, deren Aussagen den Kirchenjuristen schwer belasteten. Die Musik zur Rezitation hat Franz Wich komponiert. Der Pfarrer und Musiker stellt musikalische Bezüge zur Passion Jesu her. Aufgeführt wird das Werk vom vierstimmigen Männerchor Arte Choralis Michaelis unter Leitung von Franz Wich. Als Ehrengäste haben Verwandte Friedrich von Prauns ihre Teilnahme zugesagt.

Noch am Anfang der Zwanzigerjahre, vor dem Hitlerputsch 1923, hatte von Praun als Deutschnationaler den Nationalsozialisten nahe gestanden. Laut Quellenlage aber ging von Praun spätestens seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten auf Distanz. Im August 1943 wurde von Praun erneut denunziert. Er hatte nach einem alliierten Luftangriff auf Nürnberg Zweifel am deutschen "Endsieg" geäußert. Viele Menschen wurden damals wegen ähnlicher Aussagen verhaftet und ermordet. Von Praun wurde im Oktober 1943 verhaftet und in einer Art Schauprozess verurteilt. Am 4. April 1944 fand vor dem Sondergericht Nürnberg die Verhandlung gegen den Juristen statt. Das Gericht leitete den Fall wegen des Verdachts auf Wehrkraftzersetzung an den Volksgerichtshof in Berlin weiter. Am Morgen des 19. April 1944 fand man von Praun tot in seiner Zelle. Ob es sich um Selbstmord handelte, ist nicht geklärt. Friedrich von Praun ist das einzige Todesopfer des Nationalsozialismus aus der Pfarrer- und Beamtenschaft der bayerischen Landeskirche.

© SZ vom 12.04.2019 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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