Vampirkomödie:"Haimhausen - der Ursprung alles Bösen"

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Fünf Jahre lang hat Philipp Jescheck am Münchner Volkstheater gearbeitet. Nun probt der 37-Jährige mit einer Schar örtlicher Laienschauspieler an einer bissigen Vampirkomödie mit viel Lokalkolorit. Die Haimhausener nehmen sich darin selbst auf die Schippe: als "garstiges Dorfvolk" und Bierpanscher

Von Interview von Anna Elisa-Jakob

Philipp Jescheck sitzt vor dem Theaterstadel in Haimhausen, raucht, spricht enthusiastisch über seine Arbeit. Es ist kurz nach 14 Uhr, die Probe des ersten Aktes sollte vor wenigen Minuten beginnen. Darauf hingewiesen springt Jescheck auf, läuft in den Stadel, klatscht in die Hände, ruft ein kurzes "Servus miteinand", möchte keine weitere Probenzeit verlieren. Jescheck ist Theaterregisseur, war fünf Jahre lang fest am Münchner Volkstheater beschäftigt und arbeitet heute als freier Regisseur. In Haimhausen inszeniert der 37-Jährige den "Ball der Vampire" - eine Vampir-Komödie, die auf den Ort und seine Geschichte zugeschrieben wurde. Dass er hier einzig mit Laien arbeitet, ändert für ihn nichts an der Ernsthaftigkeit der Sache. Während der Proben taucht er vollkommen in das Stück ein, spürt jeden Satz und jede Szene mit, erwartet diese Motivation und Disziplin aber auch von seinen Schauspielern.

SZ: Herr Jescheck, Sie sind Theaterprofi und arbeiten hier in Haimhausen einzig mit Laienschauspielern. Was ist daran die größte Herausforderung?

Philipp Jescheck: Die größte Herausforderung ist wahrscheinlich, erst mal die Schauspielgrundlagen zu schaffen. Dazu gehören Dinge wie das Zusammenspiel, aber auch Basics wie Atemtechnik - wie und wohin sagt man einen Satz, wie spricht man so, dass die Leute einen verstehen. Und dann den Übergang von sich zur Rolle hinzubekommen.

Sind Sie streng?

Ja. Wenn mich etwas richtig ärgert, kann ich wirklich streng werden. Ich versuche aber immer auch, die Schauspieler zu motivieren. Sie sollen ja auch spielen wollen, und es ist ganz wichtig, dass hier die Leidenschaft nicht verloren geht. Wenn ich sage "Das ist alles scheiße, was du da machst" - dann wird das nichts. Mit Profischauspielern kann man härter umgehen.

In einem früheren Interview sprachen Sie davon, dass das Theater Ihnen die Möglichkeit biete, eine eigene Traumwelt zu erschaffen. Passiert genau das auch gerade hier in Haimhausen?

Man erschafft auf jeden Fall eine Welt - ob das hier meine Traumwelt ist, weiß ich allerdings nicht. (Lacht)

Eine Traumwelt muss ja auch nicht zwingend positiv sein...

Ja, es kann theoretisch auch eine Albtraumwelt sein. Es stimmt, ich versuche auf jeden Fall immer, eine eigene Welt zu schaffen und die für den Zuschauer erlebbar zu machen. Das Stück hier ist natürlich in erster Linie Unterhaltung, es soll Spaß machen. Parallel hatte ich gerade eine Produktion zu dem Stück "Verrücktes Blut", das ist komplett anders, primär ein Kammerspiel.

Bei den Probenarbeiten für den "Ball der Vampire“ im Haimhausener Theaterstadel zeigen die Laiendarsteller große Spielfreude. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Gehen Sie unterschiedlich an solche Stücke heran?

Eigentlich nicht, denn man muss jedes Stück mit größter Ernsthaftigkeit betreiben. Und auch eine Komödie funktioniert nur dann, wenn die handelnden Figuren extreme Nöte haben. Die Szenen hier sind etwas strenger gebaut und die Schauspieler haben weniger Freiraum für Improvisation. Es gibt auch Stücke, bei denen ich Schauspieler Szenen freier spielen lasse und sie Momente so nehmen können, wie sie gerade auf die Bühne kommen.

Das Stück ist angelehnt an den Kinofilm "Tanz der Vampire" von Roman Polanski. Was ist in Ihrem Stück anders?

Eigentlich ist die Geschichte eine komplett andere. Dramaturg Carsten Golbeck, den ich noch vom Münchner Volkstheater kenne, hat das Stück geschrieben. Wir behaupten, dass in den Katakomben des alten Schlosses in Haimhausen noch Vampire leben. Diese Vampire haben mit den Menschen einen Pakt geschlossen, dass keiner gebissen wird, solange das Schloss nicht angetastet wird. Jetzt befinden wir uns aber in den Fünfzigerjahren, kurz nach dem Krieg, die Menschen haben nichts zu essen, sind in größter Not. Und kommen auf den genialen Plan - da es ja inzwischen Schlösser von König Ludwig gibt, die schon voll von Touristen sind - das "Kühveljeh" zu einem Wittelsbacher Schloss umzubauen. Da tasten sie natürlich den Pakt an, die Vampire beißen sie - und so nimmt die Geschichte ihren Lauf. Eigentlich geht es uns aber um das Thema Gier und wie sie entsteht.

Inwiefern genau?

Was macht Leute verführbar und wozu sind sie letztendlich fähig? Im Stück geht es allen schlecht und dann ist ihnen jedes Mittel recht, um diese Situation zu verbessern. Es ist ihnen egal, dass es mal irgendwelche Absprachen gab. Am Ende sehen wir eine Vampirgesellschaft, die seit den Fünfzigerjahren ihren Lauf genommen hat. Die sich nicht schert um andere, sondern ihren eigenen Gelüsten folgt und keine Grenzen mehr kennt. Das ist sehr lustig erzählt, aber vielleicht auch etwas, was man mitnehmen kann.

Also auch eine Gesellschaftskritik an der heutigen Zeit?

Ja, es geht dabei um Maßlosigkeit - und dass diese Maßlosigkeit auch etwas Verführerisches und sogar Erotisches hat.

Wird sich der ein oder andere Haimhausener in dem Stück wiedererkennen?

(Lacht.) Ich glaube, dass sich die Darsteller teilweise selbst wiedererkennen. Carsten Golbeck hat es ihnen schon sehr auf den Leib geschrieben. Auch die Details, dass es hier ein Schloss gibt, dass das Bier gestreckt wird - es gibt hier glaube ich ja große Diskussionen um das Bier. Und dass die Amper mal ein großer Fluss war, dass alle Menschen hierher kamen, dass hier große Feste gefeiert wurden. Jetzt ist Haimhausen abgeschnitten von der S-Bahn-Linie, und mit dem Bus kommt man hier alle Nase lang mal hin - und vielleicht steckt da der Frust dieses Dorfes, der sich seit den Fünfzigerjahren entwickeln konnte.

Viele Rollen wurden den Darstellerinnen und Darstellern quasi auf den Leib geschrieben (Foto: Niels P. Jørgensen)

Sind Sie eher ein Großstadtmensch?

Ich glaube schon, ja. Ich bin zwar in einer Kleinstadt aufgewachsen, in Freiburg...

So klein ist Freiburg ja nicht - insbesondere verglichen mit einer Gemeinde wie Haimhausen.

Genau, das richtige Dorfleben kenne ich also nicht. Aber ich kenne es daher, dass ich an kleineren Orten - zum Beispiel in Fürstenfeldbruck - gerne inszeniere. Ich selbst könnte dort nicht leben, mir wäre das alles zu nah. Aber ich glaube, ein Projekt wie dieses funktioniert nur an so einem Ort. Es sind mehr als hundert Leute, die hier mithelfen, weil sie das Ding gestemmt bekommen wollen - da wird keiner bezahlt, die machen das alle für ihre Gemeinde. Die Familie Haniel stellt den Stadel, macht die Requisiten, alles ist von hier.

Sie erkennen hier also gerade die schöne Seite des Dorflebens?

Ja, weil die Leute so eng zusammenkommen.

Wie erleben Sie Haimhausen insgesamt als Kulisse für dieses Stück?

Ich finde es immer schön, wenn ein Stück etwas mit dem Ort zu tun hat und wenn da ein Resonanzraum ist, mit dem man spielen kann.

Hat sich an dem Stück noch viel verändert, nachdem hier gemeinsam geprobt wurde, nachdem Sie auch alle Schauspieler kannten?

Ja, wir hatten eine Lesefassung, die sich während den Proben immer noch ein bisschen gewandelt hat. Aber Carsten Golbeck hat ein großes Gespür für Menschen. Wir hatten uns zunächst über den Grundplot unterhalten, dann alle Darsteller getroffen, und so sind die Figuren auch entstanden. Da haben wir gesehen, wer was gut spielen kann und was passend wäre. Mit Laien ist es immer so: Man nimmt etwas von der eigentlichen Person der Darsteller mit und versucht dann, daraus eine Figur zu formen. Im besten Fall gelingt es, dass diese besonders authentisch wirkt, aber eben trotzdem eine Figur ist.

Gab es während der Proben einen Punkt, an dem Sie gemerkt haben, dass das Stück hier genau so funktionieren wird?

Ja, den hat man ja bei Proben immer wieder. Gerade mit unserem Vampirjäger, dem Professor, war relativ schnell schon klar, dass der ein unfassbar guter Schauspieler ist. Und ja, vielleicht auch, wenn man die Grundsituation so sehen möchte: ein Dorf, das sich im ersten Moment total streitet und sich nicht den Dreck unter dem Fingernagel gönnt. Dieses Garstige hatte man in manchen Momenten, wenn man sich getroffen hat, und es dann hieß: "Ja, der macht aber des und der macht aber des!" (Lacht.) So spiegelt das Stück auch das Dorf selbst. Diese Selbstironie, das genau so zu spielen, haben sie inzwischen auch.

Regisseur Philipp Jescheck geht immer mit größter Ernsthaftigkeit an die Arbeit. Beim "Haimhauser Ball der Vampire" macht er da keine Ausnahme. (Foto: Niels P. Jørgensen)

An diesen Punkt mussten Sie als Betrachter von außen die Schauspieler also erst mal bringen?

Ja - ich meine, wir gehen ja davon aus, dass Haimhausen in dem Stück der Ursprung allen Bösen ist und dass hier so ein garstiges Dorfvolk hockt.

In diese Rolle muss man sich natürlich auch hineinversetzen wollen...

Ja! Man muss sich selbst überhaupt erst mal so sehen können. Aber da habe ich schon gemerkt, dass es stimmig wird und gut zusammenpasst.

Gibt es etwas an dem Stück, bei dem Sie besonders gespannt sind, wie es das Publikum aufnimmt?

Gespannt bin ich eigentlich immer. Allerdings bin ich hier gespannt, wie die Leute mit der Komik umgehen. Carsten Golbeck schreibt eigentlich keine Schenkelklopfer, sondern Figuren, die um sich selbst kreisen und alle einen an der Waffel haben. Wie diese feine Komik hier ankommt, wenn man zwischen Bier und Hendl sitzt, darauf bin ich sehr gespannt. Ich kenne das Publikum eben überhaupt nicht und deswegen versuche ich, mir keine Gedanken zu machen, sondern das zu machen, was mir Spaß macht - und dann muss man eben sehen, wie es ankommt.

Alle Informationen zu Aufführungsterminen und Kartenservice gibt es im Internet unter haimhauser-ball-der-vampire.de.

© SZ vom 22.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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