The National in Dachau:Zum Weinen wunderbar

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Eine Mischung aus Tom Waits, The Cure und Bruce Springsteen: Die weltweit von den Feuilletons gefeierte US-Band "The National" gastiert in Dachau - und bietet einen Abend perfektes Sommerglück.

Bernd Graff

Zu den Seltsamkeiten des Sommers gehört, dass die Menschen Glück still ertragen können. Und würdigen. Es nicht frenetisch feiern, nicht daran irre werden, sondern ihm in angemessener, erwachsener Haltung begegnen und es genießen. Das Sommerglück hat viele und oft überraschende Erscheinungen. Eine war das Dachauer Open-Air-Konzert der New Yorker Band The National.

Die US-Band The National bei ihrem Auftritt auf dem Rathausplatz in Dachau. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Sommerglück, das nur noch, ist ja so etwas wie die engelhafte Schwester der Public-Viewing-Ekstase, die ohne jeden Zweifel auch ihre Berechtigung hat. Aber die WM ist vorüber und die Ekstase verpufft. Ein ganz eigentümlich anrührendes Sommerglück hingegen werden die Menschen in Erinnerung behalten und hüten wie einen Schatz.

Der Rathausplatz in Dachau. Ein abgestecktes Areal, auf das man mit ein bisschen Drücken wohl an die 3000 Leute stellen könnte. Das war Mittwochabend bei 30-Grad-Abendtemperaturen gottlob nicht nötig. 2000 werden es aber doch gewesen sein, die den Weg auf die Rathaus-Kuppe fanden. Und diese relative Überschaubarkeit ist dann doch ein Rätsel.

The National, 1991 in Cincinnati gegründet, haben mittlerweile sieben Alben produziert, seit dem fünften sind sie auf dem Radar der angelsächsischen Großkritik. Sie bespielten alle wichtigen Late Night Shows der USA. Das Feuilleton dort drüben tiriliert in den höchsten Tönen. Der britische Guardian spricht von den "herzzerreißendsten Songs, die man überhaupt hören kann." USA Today nennt The National die "Königliche Hoheit des Indie-Rock." Die New York Times hat im April in ihrem Magazin einen fünfseitigen Bericht gebracht über die Studioarbeiten an der jüngst veröffentlichten CD "High Violet". Darin fand sich der schöne Satz, dass die Band es mittlerweile geschafft habe, "die Große Amerikanische Novelle in Musik zu übersetzen", es sei das Album unserer Zeit.

Das Hauptblatt der N.Y.-Times hat seinen Lesern dann das komplette Album Wochen vor dem Veröffentlichungstermin für wenige Tage zum Download angeboten. Der erste Nutzer-Kommentar zu dieser Offerte: "Das Album ist so wunderbar. Ich könnte weinen. Das geht aber nicht. Ich bin auf der Arbeit."

Urbanes Erzählen beherrschen sie wirklich, die fünf Absolventen der University of Cincinnati: Es geht um die Liebe in den Städten, um die Angst und den stillen Wahnsinn, um Vereinsamung, Zynismus und die Unfähigkeit, als Paar noch gemeinsame Worte zu finden. Und dabei all das zu wissen und dennoch kein Gegenmittel zu finden. Doch das Erzählen in teils poetisch hochfliegenden Bildern - "Es ist eine furchtbare Liebe und ich gehe mit Spinnen"; "Wir sind nur halb wach in unserem vorgegaukelten Reich" - ist nur eine ihrer Tugenden.

Die immer mit Grandezza vorgetragenen beiden anderen sind: der unverwechselbare, bedingungslose Bariton von Sänger Matt Berninger und die hohe Trommlerkunst von Drummer Bryan Devendorf. Er ist der Maschinist: mal Antreiber, mal Besänftiger, dann eine Stalinorgel vor dem Herrn. Zum Glück spielt The National nicht Fußball: Der FC Bayern München hätte die beiden der Band für alles Geld der Welt längst weggekauft.

Vervollständigt wird The National, die in ihrem Kern aus zwei Zwillingsbruder-Paaren und dem Sänger bestehen, noch durch Aaron und Bryce Dessner. Aaron an Gitarre und Klavier, sein Bruder an der Gitarre, der Schlagzeugerbruder Scott Devendorf am Bass. Hinzu gerufen werden für Einzelnummern Trompeter und Saxophonisten. Damit entfaltet die Band ein musikalisches Spektrum, das von kammermusikalischem Verantwortungsklang zu Bigbandbombast reicht, oftmals in derselben Nummer.

Man hat diese Klangspur heiterer Düsternis schon mit Springsteen verglichen, mit The Cure, mit Nick Cave und Tom Waits. Das ist alles richtig, wenn man die Tindersticks mit einbezieht. Das Elegische, das Timbre der Stimme, die Themen, nur schneller und härter gespielt. Zwanzig zumeist schnelle, rhythmusbetonte Nummern haben The National für Dachau in ihre Koffer gepackt. Es sind die Großkaliber ihrer letzten drei Alben: "Alligator" (2005), "Boxer" (2007) und der Jüngstveröffentlichung.

Das Dachauer Publikum ist in jedem melancholiefähigen Alter und entsprechend lässig gekleidet. Nicht so die Band! Matt Berninger und die Seinen treten auf in gut geschnittenem Loungeschwarz, mit Krawatte. Berninger trinkt Mineralwasser aus einem Weinglas, er trägt einen für Rockstars geradezu querflötistenhaften Dreitagebart. Tadellos. Er könnte Bundespräsident Wulff einen Gebrauchtwagen verkaufen.

Akustisches Sturmfeuer

Die erste Nummer ist gleich großes Staatsbegräbnis. So geht es weiter. In der Mitte des Konzerts, "Afraid of anyone", ein Stück, das so herzzerreißend depressiv ist, dass man es fast werden möchte. Zwei Stücke später, bei "Conversation 16", raunt Berninger zwar: " I do not know what all the troubles are for", doch im Hintergrund haben sie den Drummer von der Kette gelassen. Sein akustisches Sturmfeuer allein hätte Jericho zerbröselt, wenn sie ihn denn damals dabei gehabt hätten.

Berninger benutzt ein Standmikrofon mit Kabel. Daran hält er sich gerne fest. Er hampelt nicht rum. Allenfalls, wenn ihn der Schmerz übermannt, geht er ein wenig in die Knie. Er ist die Allgewalt seiner Stimme, aber ein Mies van der Rohe in der Bühnenperformance: Weniger scheint ihm mehr. Und so denkt wohl auch sein Publikum. Vor der Bühne hampelt ebenfalls niemand rum. Einig in bilateralem Genuss, so scheint es.

Dann "Fake Empire", ein Liebeslied, das ausnahmsweise vor der Trennung angesiedelt ist. Entfaltet wird eine Bigband-Wucht, die an Chicago erinnert. Schließlich "Terrible Love." Kernschmelze. Manchmal ist das Sommerglück eine schöne Frau in einem bunten Kleid, die an einem Gin Tonic nippt. Manchmal ist es ein Konzert von The National.

© SZ vom 16.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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The National in Dachau
:Akustisches Sturmfeuer

Weltweit wird die US-Band The National von den Feuilletons gefeiert. Nun kamen die Musiker zum Open-Air-Konzert nach Dachau.

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