SZ-Serie: Geschichten aus dem Dachauer Land, Folge 10:Zitronengras-Trüffel statt Kuhmilch

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Das Bauernsterben macht auch vor Wagenhofen nicht Halt. Der Strukturwandel bringt die Einwohner aber auch auf neue, kreative Ideen

Von Renate Zauscher, Pfaffenhofen an der Glonn

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(Foto: Toni Heigl)

Obwohl Wagenhofen noch sehr ursprünglich wirkt, leben hier nur noch wenige Bewohner von der Landwirtschaft.

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Wagenhofen liegt ruhig - der Umgehungsstraße sei Dank.

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Strukturwandel ja - Eier und Nudeln aber werden gerne noch regional gekauft.

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Seit 1760 gab es acht Hofstellen in Wagenhofen. Die Zahl änderte sich erst ab 1950.

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Yvonne Höhne betreibt eine kleine, aber feine Patisserie.

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"Farfallina's Patisserie" ist weit über die Gemeinde hinaus bekannt.

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(Foto: Toni Heigl)

Ein Marterl erinnert an eine Mordtat, die den idyllischen Ort 1994 erschütterte.

Wer kurz hinter Odelzhausen von der Staatsstraße abbiegt und dem Schild "Wagenhofen" folgt, gelangt in ein kleines Dorf, das sich auf den ersten Blick in nichts von zahllosen anderen kleinen Dörfern im Münchner und Augsburger Hinterland unterscheidet: Links und rechts der Durchgangsstraße stehen noch ein paar Bauernhöfe, auf denen es ziemlich still geworden ist, ein paar später dazu gekommene Einfamilienhäuser, eine Kapelle und daneben ein blau-weiß bemalter Maibaum. Nichts Spektakuläres, nichts was neugierig machen würde.

Doch der erste Eindruck täuscht. Wer genauer hinschaut und mit dem ein oder anderen Dorfbewohner spricht, stellt fest: Wagenhofen, eine uralte, heute zur Gemeinde Pfaffenhofen gehörende Siedlung über der Glonn, ist zwar zum einen ein Musterbeispiel für das euphemistisch als "Strukturwandel" bezeichnete Bauernsterben - es hat aber andererseits einiges zu bieten, was es deutlich von anderen Dörfern ähnlicher Größe unterscheidet.

Was den Strukturwandel angeht, so wird er schon bei der Anfahrt ins eigentliche Dorf sichtbar: Am Rand von Wagenhofen ist ein Gewerbegebiet entstanden, in dem sich gut ein Dutzend Betriebe niedergelassen hat. Ein großer Baustoffhandel zählt zu den Firmen, die hier gebaut haben, eine Elektrofirma, die viele Solaranlagen auf die Dächer der Umgebung gesetzt hat, oder auch eine Zahnarztpraxis. Die Ausweisung der Gewerbeflächen vor mehr als zehn Jahren war wegen der landschaftlich exponierten Lage hoch über dem Glonntal sehr umstritten. Wer aber heute hier arbeitet und lebt, weiß davon kaum mehr etwas. So wie beispielsweise Susanne und Andreas Lieske, die hier ein Planungsbüro betreiben und Fertighäuser verkaufen: Sie fühlen sich sehr wohl und betonen, wie gut man sich mit den Nachbarn innerhalb des Gewerbegebiets verstehe.

Sichtbar ist der Strukturwandel aber auch im Dorf selber. Auf einem der Höfe erinnern nur noch ein paar Katzen, die sich vor dem leeren Stallgebäude sonnen, an frühere Zeiten, als die Viehhaltung für einen Landwirt noch selbstverständlich war.

"Ja, das Leben hat sich um hundertachtzig Grad gedreht", sagt Annelies Märkl, die mit ihrer Familie hier lebt. Die Zeiten, als jeder noch Kühe hatte und die Menschen im Dorf gemeinsam in den Jahresablauf der bäuerlichen Arbeiten eingebunden gewesen seien, die seien schon sehr viel schöner gewesen. Immerhin bearbeiten Michael Märkl und sein Schwiegersohn Peter Balleis noch die zum Hof gehörenden Felder, nur die Wiesen sind verpachtet.

Bei den Nachbarn der Familie Märkl, Martin Kistler und seinem Sohn Markus, stehen sogar noch Rinder im Stall. Aber auch hier sind es nicht mehr die Milchkühe früherer Zeiten sondern nur noch männliche Tiere: Die Familie betreibt eine Bullenmast. Martin Kistler erklärt warum: Man sei mit den Bullen einfach zeitlich nicht mehr so gebunden wie bei den Kühen, die zur festen Uhrzeit gemolken werden müssen. Auch der heute 80-jährige Senior-Bauer spricht mit leichter Wehmut von früheren Zeiten: von der Heuernte beispielsweise, die nur mit vielen zusätzlichen Arbeitskräften zu bewältigen war, von den Pferdegespannen, mit denen man auf die Felder hinausfuhr oder von Arbeitsgeräten, die die "Jungen" heute nicht einmal mehr dem Namen nach kennen. Auch die alten Hofnamen gerieten mehr und mehr in Vergessenheit.

Die Technologisierung der Landwirtschaft und die Notwendigkeit, immer noch größer zu werden und immer mehr zu produzieren, um als Landwirt überhaupt überleben zu können, haben viel zum Wandel des bäuerlichen Lebens beigetragen. Aber es sind noch andere Faktoren, die das Bauernsterben beschleunigen: Söhne und Töchter der Bauern ergreifen häufig Berufe, in denen sie weniger hart arbeiten müssen. Und die Männer finden oft keine Frau. "Jetzt hat jedes Mädel ihren Beruf", sagt Martin Kistler, und wenn ein junger Bauer doch noch eine Frau finde, dann komme die oft nicht mehr aus der Landwirtschaft sondern habe "früher schon etwas anderes gemacht." Solche Mädchen würden oft sogar die tüchtigsten Bäuerinnen.

Einen weiteren Grund dafür, dass viele Landwirte aufhören, nennt Josef Naßl, ein anderer Nachbar der Kistlers: die Bürokratisierung seines Berufsstands. Früher habe ein Aktenordner in seinem Büro genügt, heute seien es zehn. Naßl ist einer der wenigen Landwirte in Wagenhofen, auf deren Hof es noch Tiere gibt. In diesem Fall: Schweine und Legehennen. Beides in durchaus verträglichen Größenordnungen, weshalb Josef Naßl auch noch einen Nebenjob hat: Er ist Hagelschätzer im Auftrag der Versicherungskammer Bayern. Naßls Prognose für die bäuerliche Zukunft im Ort ist eher düster: "In fünf bis zehn Jahren gibt es mit Sicherheit keine Kuh mehr in der ganzen Gemeinde", glaubt er. Die einzige Chance für die Landwirte liege in der Spezialisierung.

Aber nicht nur die traurigen Aspekte des Strukturwandels lassen sich in Wagenhofen beobachten, sondern auch dessen positive Seite. Die "Strukturen" des kleinen Orts begannen sich bereits vor fast einem halben Jahrhundert zu ändern: damals, als der Ingenieur Roland Höhne anfing, erst in einer Garage, dann in einem immer größer werdenden Komplex von Wohn- und Betriebsgebäuden Präzisionswerkzeug herzustellen. Heute führt sein Sohn Robert die Firma mit etwa 65 Mitarbeitern, zu der auch das Software-Unternehmen Geovision gehört. In dem über die Jahre stetig gewachsenen Gebäude an der Straße Richtung Unterumbach ist seit längerem auch eine Außenstelle der Johannes-Neuhäusler-Schule von Schönbrunn untergebracht. Die Firma Höhe war über Jahrzehnte einer der ganz wenigen guten Steuerzahler in der Gemeinde - sie dürfte hier auch heute noch an der Spitze liegen. Nach der Erweiterung des Werksgebäudes 1997 wurden Räume frei, die zur Keimzelle eines weiteren, höchst spezialisierten Betriebs wurden: Yvonne Höhne, gelernte Konditormeisterin, die in München bei den Besten ihrer Zunft gelernt hat, richtete hier eine Backstube ein. Aus den kleinen Anfängen mit ursprünglich nur Lieferbetrieb und freitäglichem Backstubenverkauf wurde über die Jahre ein höchst erfolgreiches Unternehmen. "Farfallina's Patisserie" ist heute ein weit über die Gemeinde hinaus bekanntes kleines und feines Café mit Bistro. Yvonne Höhne beliefert darüber hinaus mehrere Münchner Cafés und die Kantinen zweier großer Unternehmen in Odelzhausen.

Das Miteinander der Menschen in Wagenhofen beschreibt Josef Naßl als sehr gut: "Der Zusammenhalt ist groß", sagt er, die verbliebenen Landwirte würden manche ihrer Maschinen gemeinsam nutzen und einmal im Jahr, nach der Messe in der Kapelle des Heiligen Franziskus, werde gemeinsam gefeiert. Auch die Tatsache, dass in einem so kleinen Ort alle drei Jahre ein Maibaum aufgestellt werde, sei "nicht alltäglich". Wer genauer hinschaut, sieht aber auch: Das Miteinander ist eigentlich eher ein Nebeneinander einzelner Gruppen. So kennt man im Altort kaum jemand von den Leuten, die im Gewerbegebiet leben: Höchstens mit einigen Eier-Kunden habe er Kontakt, sagt Josef Naßl. Einen Sonderstatus im Dorf haben auch Robert Höhne und seine Schwester Yvonne, zumal es in früheren Jahren gelegentlich Ärger mit einigen Landwirten gab: Diese hatten Mühe, zwischen den Autos parkender Café-Kunden auf ihre Felder zu fahren. Seit dem Bau eines Parkplatzes sei das Problem aber behoben, betonen die Bauern.

Und auch noch einen anderen Außenseiter gibt es im Ort: Leo Mandelsperger, der an der Straße in Richtung Unterumbach eine Falknerei betreibt und seine wertvollen Tiere auch schon mal an saudische Prinzen verkauft. In einer Sache allerdings herrscht Einigkeit im Ort: Seit dem Bau der Umgehungsstraße unterhalb von Wagenhofen müssen sich Pkws und Laster nicht mehr durch die Ortsdurchfahrt quälen - zur großen Erleichterung aller.

© SZ vom 05.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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