Statt Theaterspielen:Zeit ohne Ziel

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Beim integrativen Freizeittreff an der Bergkirchner Mittelschule verbringen Kinder mit und ohne Handicap die Mittwochnachmittage miteinander. Je mehr Freiraum sie haben, desto besser klappt der Umgang

Von Petra Schafflik

Konzentriert kleckst Louis kleine Tropfen Glitzerkleber auf den Karton, auf dem schon ein prächtiger Christbaum prangt. "Die Karte ist für Mama", erklärt der zwölfjährige Schüler. Neben ihm betrachtet sein ein Jahr älterer Freund Jeani zufrieden sein Werk. "Das muss noch trocknen." Neben der Bastelarbeit wird geratscht und gelacht. Die beiden Buben kennen sich schon aus dem kooperativen Theaterprojekt, für das die Schüler der Mittelschule Bergkirchen gemeinsam mit Mädchen und Jungen der Johannes-Neuhäusler-Schule in den vergangenen vier Jahren auch überregional viel Anerkennung bekommen haben. In diesem Jahr gab es nicht genug interessierten Schüler fürs Theaterspielen.

Das Team um Katrin Siegl, Leiterin der offenen Ganztagsschule und Sonderschullehrerin Ingrid Karlitschek von der Johannes-Neuhäusler-Schule Schönbrunn nahm diesen Wandel als Chance. Und entwickelten das Konzept der integrativen Freizeit. Nun verbringen Schüler mit und ohne Handicap ihre Mittwochnachmittage gemeinsam mit frei gewählten Aktivitäten wie Bewegungsspielen, Kickern, Kochen oder Backen. Und vor Weihnachten wird natürlich auch gebastelt. Ein Rahmen, der den Mädchen und Buben mehr Freiraum gibt für eigene Ideen wie auch für eine lockere, gemeinsame Zeit ohne ehrgeiziges Ziel. "Dadurch ist das Miteinander noch normaler geworden", sind sich Siegl und Karlitscheck einig.

Beim Weihnachtsbasteln im Integrativen Freizeittreff sind die Schüler der Bergkirchner Mittelschule und der Johannes-Neuhäusler-Schule mit Feuereifer dabei, zum Beispiel kleine Geschenke zum Beispiel für die Eltern herzustellen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Beim vorweihnachtlichen Basteln wird geklebt, ausgeschnitten, gefaltet und gestrickt. Es entsteht Wandschmuck für den Gruppenraum, Deko für zu Hause oder ein kleines Geschenk für die Eltern, nichts Weltbewegendes möchte man meinen. Aber beim integrativen Freizeittreff werkeln Kinder mit und ohne Handicap zusammen, und zwar nicht neben- sondern miteinander, es wird gelacht und gequatscht.

Mit einem Wollknäuel in der Hand dreht Johanna die Strickmühle, beobachtet, wie sich Faden um Faden wie von Zauberhand ein regelmäßiges Gewebe bildet und schließlich ein wunderbar flauschiger Schal herauskommt. "Für Mama", sagt die zehnjährige Schülerin, die gleich noch eine Mütze für sich selbst fertigen möchte. "Geht ganz einfach", weiß ihre gleichaltrige Freundin Mariella.

Egal was auf dem Programm steht, Louis und Jeani sind immer dabei, denn die beiden sind längst Freunde geworden und verbringen auch privat gerne Freizeit zusammen. "Wir schnitzen viel, haben ein Lager gebaut, manchmal zocken wir auch am Computer", erzählt Louis. "Kannst du Sonntag?" Jeani hat Zeit. So ein Miteinander, wie es für die beiden Jungen schon selbstverständlich ist, entsteht mehr und mehr auch in der Gruppe, berichtet Katrin Siegl.

Mit der Strickmühle Schals und Mützen herstellen, freut die Mädchen im integrativen Freizeittreff. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Anders als beim Theaterprojekt, wo sich alle Aktivitäten auf ein Ziel hin ausgerichtet haben, verleben die Schüler nun einfach ihre freien Nachmittage mit wechselnden Angeboten zusammen. Was sich nach weniger anhört, ist im Ergebnis offenbar sogar mehr, wie die Pädagogen beobachten. Denn für die Bergkirchner Schüler, die nicht wie ihre Gäste aus Schönbrunn extra im Bus anreisen müssen, sondern einfach den Schulflur zum Gruppenraum hinuntergehen, ist das Mitmachen frei.

Niemand muss sich anmelden, niemand für ein Schuljahr im Voraus festlegen. Wer Lust hat, schaut vorbei. Und da ist es schön zu sehen, dass immer einige Kinder gerne kommen zur integrativen Freizeit. Die Mädchen kichern, die Jungs reißen Witze und zocken mit dem Handy, es wird miteinander gelacht, um die Wette gerannt und im ganzen Schulhaus nach dem Schlüssel für die Turnhalle gesucht. Wie Kinder so sind, unterschiedlich eben, und doch alle ganz normal.

© SZ vom 08.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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