Frauentag:Juristische Grauzone bei sexueller Belästigung

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Stefanie Mayer vertritt Opfer sexueller Übergriffe. (Foto: oh)

Rechtsanwältin Stefanie Mayer über die Scham von Frauen sexueller Gewalt, und warum es so schwierig ist, Belästigungen zu bestrafen.

Interview von Jeannette Oholi

Stefanie Mayer ist erst 28 Jahre alt, doch sie arbeitet bereits seit zwei Jahren als zugelassene Rechtsanwältin für Strafrecht in einer Münchner Kanzlei. Zu ihr kommen immer wieder Frauen, die Opfer von sexueller Gewalt geworden sind. An diesem Dienstag, 8. März, hält sie in der Kulturkneipe Haimhausen einen Vortrag über das Sexualstrafrecht. Der Diskussionsabend zum Thema "Sexuelle Übergriffe im öffentlichen Raum. Wie ist die Rechtslage? Wie sicher sind wir?" beginnt um 20 Uhr und wird vom Kreisverband der Grünen zum Internationalen Frauentag organisiert. Im Gespräch mit der SZ erklärt Mayer, warum das geltende Recht aus ihrer Sicht dringend überarbeitet werden muss.

SZ: Wie oft beraten oder vertreten Sie Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben?

Stefanie Mayer: Wir haben immer wieder Fälle sexueller Gewalt. Ich biete den Frauen eine Beratung an und übernehme die Opfervertretung. In vielen Fällen handelt es sich um Sexualdelikte, bei denen sich Täter und Opfer kannten. Viele der Sexualdelikte spielen sich in Beziehungen ab. Frauen, denen sexuelle Gewalt im öffentlichen Raum widerfahren ist, etwa durch das Anfassen intimer Bereiche gegen ihren Willen, habe ich bisher noch nicht vertreten. Da ist die Hürde oft sehr groß.

Warum?

Die Hemmschwelle und die Scham für die Frauen ist ohnehin immer groß. Viele stellen sich die Frage, ob sie sich einem eventuellen Prozess, bei dem sie erneut aussagen müssen, überhaupt aussetzen wollen. Zudem sind sexuelle Übergriffe, bei denen Frauen überrumpelt und der Täter einen Überraschungsmoment ausnutzt, bisher als Straftatbestand im Strafgesetzbuch nicht eindeutig erfasst. Im Moment ist die Rechtslage schwierig. Es ist oft fraglich, ob sexuelle Übergriffe einen Tatbestand überhaupt erfüllen.

Wie sieht denn das derzeitige Sexualstrafrecht in Deutschland aus?

Wir haben ein umfangreiches Strafrecht, das jedoch Lücken aufweist. Ein sexueller Angriff erfüllt den Tatbestand nur, wenn eine Nötigung vorliegt. Das heißt, dass der Täter das Opfer mit Gewalt zu etwas zwingt oder es so massiv bedroht, dass das Opfer Leib und Leben bedroht sieht, und sexuelle Handlungen über sich ergehen lässt. Für überraschende Angriffe, bei denen strafrechtlich gesehen keine Nötigung vorliegt, gibt es derzeit keine gesetzliche Grundlage, die auch diese sexuellen Übergriffe strafbar macht.

Wie wird dann ein sexueller Übergriff in der Öffentlichkeit, etwa wenn eine Frau in der Disco gegen ihren Willen angefasst wird, geahndet?

Meistens ist das vom jeweiligen Richter abhängig. Manchmal stufen Richter vereinzelt sexuelle Übergriffe wie das Begrapschen als Beleidigung ein. Das hängt jedoch vom Einzelfall und den Umständen ab. Ein bloßes Anfassen alleine genügt hierfür nicht. Vielmehr muss dafür ein zusätzliches herabwürdigendes Verhalten des Täters, etwa durch entsprechende Sprüche, Gestik und Mimik, vorliegen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

In Karlsruhe bewertete ein Richter Folgendes als Beleidigung: Ein Mann stellte sich einer Frau in den Weg, täuschte eine Umarmung an, um ihr sodann in den Intimbereich zu fassen und kommentierte dies mit den Worten "Macht ja nichts". Durch die zusätzliche herabwürdigende Aussage hat sich der Täter dem Tatbestand der Beleidigung strafbar gemacht.

Wie sollte Ihrer Meinung nach das Sexualstrafrecht verändert werden?

Ich denke, dass eine Norm geschaffen werden sollte, die Taten, in denen Täter einen Überraschungsmoment ausnutzen, klar unter Strafe stellt. Derzeit bewegen wir uns in einer Grauzone. Mit dem neuen Gesetzesentwurf, der seit 2015 auf Bundesebene diskutiert wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung gemacht. Dieser sieht neben einer Umstrukturierung des Paragrafen 179 Strafgesetzbuch, der bisher nur widerstandsunfähige Opfer betrifft, die etwa eine psychische Erkrankung haben oder unter massivem Alkohol- und Drogeneinfluss stehen, auch die Aufnahme des Überraschungsmoments vor.

© SZ vom 08.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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