Serie: Dachauer Oasen, Folge 10:Bepflanzen statt zuschütten

Lesezeit: 7 min

Kreisfachberater Siegfried Lex weiß, wie selbst vor dem Reihenhaus ein naturnaher Garten entsteht. "Auch auf kleinem Raum kann man eine Blumenwiese anlegen"

Interview von Magdalena Hinterbrandner

Ein Garten kann eine Oase der Erholung für den Menschen sein, ein Platz für Grill- und Familienfeste, für Fußballspiele, Campingfläche oder ein Spielplatz für Kinder. Aber es steckt noch viel mehr Potenzial in solch einer grünen Freifläche. Denn auch für Lebewesen wie Insekten oder Vögel kann ein Garten Lebensraum und Rückzugsort sein. Dafür braucht es nur wenige Handgriffe, um das eigene Terrain möglichst naturnah zu gestalten. Siegfried Lex, der Kreisfachberater für Gartenbau und Landespflege im Landratsamt Dachau, erklärt, wie man ganz einfach selbst so einen naturnahen Garten anlegen kann.

SZ: Herr Lex, was genau ist denn ein naturnaher Garten?

Siegfried Lex: Ein naturnaher Garten ist einer, in dem der Gärtner oder der Gartengestalter einzelne Lebensbereiche oder Biotoptypen anlegt.

Muss man dafür viel von Gartenarbeit oder Pflanzen verstehen oder kann man auch als kompletter Laie so einen Garten anlegen?

Ein Laie kann natürlich auch anfangen, aber es gibt gute Fachliteratur, und auch im Internet steht sehr viel zu dem Thema, sodass man sich gutes Wissen eigentlich schnell aneignen kann. Sehr schön ist zum Beispiel die Literatur von Reinhard Witt, die hab' ich natürlich nicht nur in meinem Bücherschrank stehen, sondern sie auch studiert. Hier gibt er praktische Tipps, wie man naturnahe Gärten anlegt. Es gibt aber auch viel andere Literatur zu dem Thema.

Man kann sich das Wissen also selbst anlesen?

Ganz richtig.

Was braucht man denn grundsätzlich für einen naturnahen Garten? Abgesehen von einer Gartenfläche natürlich?

Also man braucht natürlich ein Stückchen Land, es wird etwas schwierig, je kleiner die Fläche ist, aber auch schon in einem kleinen Reihenhausgarten kann man naturnah gärtnern. Man kann nicht alle Lebensbereiche anlegen, aber man kann zum Beispiel auf kleinem Raum auch mal eine Blumenwiese in einem Vorgarten anlegen, ohne dass man jetzt - wie es leider ein bisschen ein Negativtrend ist - diese Fläche versiegelt. Also zuschüttet oder mit einer Folie abdeckt. Das ist völlig naturfernes Gärtnern. Um einen naturnahen Garten anzulegen, braucht man eigentlich der Natur gewisse Sachen nur abzuschauen.

Auch die Wiese im Garten ist ein Lebensbereich, in dem vornehmlich einheimische Blumen wachsen sollten. Sie sind deshalb so wichtig, weil die Insekten auf sie angewiesen sind. Und in einem naturnahen Garten soll es doch auch summen und brummen. (Foto: Toni Heigl)

Überlasse ich die Natur einfach sich selbst?

Nein, das sind ja große, langwierige Entwicklungen in der Natur. Man muss also schon immer auch pflegerisch eingreifen, aber dezent. Oder, wenn irgendwelche Pflanzen kommen, die nicht in die Wiese gehören, muss man sie natürlich rausnehmen. In der Natur oder in der Savanne machen das die Tiere. Im kleinsten Garten wird man natürlich keine Tierbeweidung machen können, da muss man dann eben mähen. Das Wissen kann man sich aber anlesen.

Welche sind denn die "Lebensbereiche", von denen Sie sprechen?

Der erste wäre der Lebensbereich Baum und Strauch, abgeleitet vom Wald. In der Landschaftsökologie ist ja auch Wald und Feld ein Lebensbereich. Man wird aber jetzt in den seltensten Fällen aus einem Garten einen Wald machen können, aber man kann hier zumindest einen geeigneten Baum oder geeignete Sträucher setzen. Sei es nur ein Pfaffenkäppchen mit seinen schönen Früchten, das auch unseren Singvögeln Nahrung bietet, oder irgendeine Wildrose - hier gibt es auch kleine Formen - oder einen Ginster, der bleibt auch oft klein, wie der schwarze Ginster.

Kann ich denn auch einfach eine Wiese anlegen? Und worauf muss ich bei einer Blumenwiese achten?

Auch die Wiese ist ein Lebensbereich. Einheimische Blumen sind hier wichtig, denn auf die sind unsere Insekten angewiesen. Wichtig ist im naturnahen Garten auch noch: Wenn man die Stauden abschneidet, sollte man sie nicht durch den Häcksler lassen, sondern die Stängel aufschichten und bis zum Frühjahr zu einem Komposthaufen machen, weil oft in den trockenen Stängeln noch Larven überwintern. Komposthaufen und Laubhaufen sind auch wichtig für den Igel, Ringelnattern kommen auch gern, das sind natürliche Lebenskreisläufe. Das heißt: Falllaub unter einem Strauch oder unter einem Baum sollte liegen bleiben wie im Wald, dann ist das eine natürliche Nährstoffrückführung. Natürlich muss man Laub vom Pflaster oder Weg wegnehmen, aber unterm Gehölz oder Strauch ist das eine schöne Mulchschicht, und unsere Bodenlebewesen, das ist ja eine ganze Vielzahl an Helferlein, bauen das wieder zu wertvollem Hummus ab und Nährstoffe für Baum oder Strauch werden frei.

Wie ist es mit einer Obstbaumwiese?

Der Lebensbereich Streuobstwiese ist eine Sonderform. Das ist eine lichte Pflanzengemeinschaft wie in der Savanne. Der Streuobstbereich ist aber eine menschengemachte Geschichte. Ein ganz eigener Lebensbereich sind die Stauden. Hier gibt es wahnsinnig viele Arten, man braucht also bloß Fachkataloge lesen, da sind die Stauden nach Lebensbereichen eingeteilt. Also in sonnig und trocken, feuchter Boden, normal frischer Boden, schattige Bereiche. Stauden sind übrigens keine Bäume oder Sträucher, sondern krautartige Pflanzen, die winterhart sind.

Für einen Gartenteich bräuchte ich wahrscheinlich viel Platz?

Nein, das kann der Gartengröße angepasst werden, auch im kleinsten Garten kann man einen kleinen Teich anlegen.

Welche Pflanzen dürfen in einem naturnahen Garten denn auf keinen Fall fehlen?

Im naturnahen Garten ist ganz wichtig: einheimische Pflanzenarten. Vor allem keine hochgezüchteten, sehr gefüllt blühenden Arten. Auf einheimische Pflanzenarten, also Stauden, Wiesenkräuter, ist vor allem unsere Tierwelt angewiesen, die sich im Laufe der Evolution hier angepasst haben und die hier Nahrung finden.

Was wären denn spezielle Pflanzenarten, die in einem naturnahen Garten gar nichts zu suchen haben?

Pflanzenarten, die in einem naturnahen Garten gar nichts zu suchen haben - das sind natürlich aggressive Neophyten, die alles überwuchern. Ich sag' mal, wer jetzt hier die Goldrute reinsetzt, die sehr stark aussamt, der hat dann in seinem Vorgärtchen oder Garten nur noch Goldrute. Oder der Riesenknöterich. Die sind sehr aggressiv und verdrängend.

Naturnahe Anlagen werden mit dem Besuch von Tagpfauenaugen belohnt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Grundsätzlich, für wen hat der naturnahe Garten besonders Vorteile?

Er hat für alle Vorteile. Erstens einmal für unsere Mitlebewesen, unsere Tiere. Dann ist ein naturnaher Garten auch ein Rückzugsraum für bedrohte Pflanzenarten, aber auch für den Menschen, denn er kann im naturnahen Garten - ist das Fleckchen auch noch so klein, ich sag mal zwei auf zwei Meter, ein kleiner Tümpel oder kleines Feuchtbiotop - viele wertvolle Naturbeobachtungen machen. Er sieht hier Tiere, die auch von selbst kommen. Es ist oft erstaunlich, welche Tiere hier zuwandern. Zum Beispiel ein Wasserfrosch, eine Erdkröte, ein Teichmolch - die kommen meistens von selbst.

Ist so ein Garten denn sehr zeitaufwendig? Gerade für Berufstätige ist das ja eine wichtige Frage.

Ist es nicht. Aber ohne dass man was macht, geht es nicht. Es ist ein schöner Ausgleich nach Feierabend, das berichten viele Leute, die früher keinen Garten hatten und den ganzen Tag vor dem Computer sitzen, die dann gerne am Abend ihren Gartenteich genießen und natürlich auch hier mal Hand anlegen. Man muss ja dann doch ein bisschen eingreifen, zumindest im Frühjahr was zurückschneiden, ein bisschen was ausdünnen - eben gärtnerisch tätig werden. Seien es hier auch nur gewisse Kräuter in Töpfen und Kübeln, die ja sehr schön blühen und den Insekten Nahrung bieten. Man muss also gärtnerisch schon was tun, aber das macht ja auch Spaß. Und ist auch körperliche Ertüchtigung: Man muss sich natürlich bücken, aber das ist wieder gut für den Kreislauf.

Wie sieht es aus, wenn jemand keinen Garten hat, sondern vielleicht nur einen Balkon und trotzdem so naturnah wie möglich gärtnern möchte? Welche Pflanzen bräuchte man denn da auf jeden Fall?

Wer keine Gartenfläche hat, sondern nur einen Balkontrog oder eine Dachterrasse, kann natürlich auch Pflanzen ansiedeln. Man kann gerade in Balkontrögen, die auch nicht viel Erdreich oder Substrat aufnehmen, zum Beispiel die Gruppe der Steingartenpflanzen setzen. Das sind dann vor allem viele alpine Pflanzen. Gewürzkräuter zum Beispiel locken auch Schmetterlinge an, Bienen oder Hummeln. Man wird hier sicherlich keine vom aussterben bedrohte Art retten können, aber man kann trotzdem Lebensraum schaffen. Man kann auch ein Insektenhotel anbringen. Auch hölzerne Schilfstängel, in die man Löcher hineinbohrt und in denen sich dann Wildbienen und Insekten ansiedeln. Die kann man dann sehr schön beobachten. Wenngleich ein normaler, naturnaher Garten kein Insektenhotel braucht, denn hier habe ich ja Stauden, gewisse Gräser oder Freifläche.

Siegfried Lex hat den grünen Daumen (l.). (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wenn jemand das nun machen will - wann ist der beste Zeitpunkt im Jahr, die Sache anzupacken?

Beinahe jederzeit! Im Hochwinter, wenn alles tiefgefroren ist oder verschneit, da ruht alles, das ist ganz klar. Pflanzzeit im normalen Boden ist die Ruhephase bevor die Vegetation angeht, also im zeitigen Frühjahr oder Spätwinter, normalerweise Ende Februar oder März. Und dann jetzt im Herbst. Im September und Oktober. Im November ist auch noch Pflanzzeit. Für Stauden, sie sind ja in Gärtnereien in Töpfen erhältlich, ist eigentlich ganzjährig Pflanzzeit. Im Hochsommer, wenn die höchste Hitze ist, ist es vielleicht etwas ungünstig neu auszupflanzen, denn hier muss man dann sehr oft gießen, bis die Sachen angewachsen sind.

Obstbäume gehören wahrscheinlich auch in einen naturnahen Garten.

Richtig. Hier ist ja die Streuobstwiese sehr viel im Gespräch. Das ist eine alte Nutzungsform des Menschen. Der Mensch hat Obst schon immer angebaut und hat Streuobst in die Feldflure eingestreut. Er hat natürlich primär die Bäume angebaut, damit er einen großen Obstertrag hat. Aber Streuobstbäume, vor allem je älter sie werden, bilden auch vielfältige Lebensbereiche oder Habitate für unterschiedliche Tiere. Also natürlich für sehr viele Insektenarten, dann gibt es aber auch Habitate in Form von alten Astlöchern für Höhlenbrüter. Sie locken Insekten an, die brauchen wiederum unsere Singvögel zur Jungenaufzucht.

Man sagt, dass es schwierig ist, Obstbäume richtig zu schneiden. Stimmt das? Haben sie da vielleicht Tipps?

Obstbäume sind überhaupt nicht schwierig zu schneiden. Hier wird oft viel zu viel draus gemacht. Die Natur hat natürlich nicht den Schnitt erfunden, das ist eine Erziehungsform des Menschen, die zurückgeht bis zur Barockzeit, als der Mensch die Natur sich untergeordnet und strenge Formschnitte entwickelt hat. Kann man natürlich auch mal machen - es gibt hier übrigens auch sehr viel gute Literatur - aber im Prinzip gehören Obstbäume nicht zugeschnitten. Sie gehören eher ausgelichtet. Wichtig ist vor allem der Pflanzschnitt, wenn man keine Ballen- oder Containerware setzt. Dann ein gewisser Aufbau- und Erziehungsschnitt, vor allem für den Hoch- und Halbstamm. Und kleiner wüchsige Obstbäume muss man etwas stärker auslichten. Es ist also gar nicht so schwierig. Man muss die Natur beobachten. Die meisten Obstbäume blühen am zwei und mehrjährigen Holz. Wenn ich also jedes Jahr den Obstbaum als Buchskugel schneide, wird er nicht blühen. Es gibt übrigens mittlerweile auch Zwergobstbäume, die man als Kübelpflanze in Töpfen ziehen und auch auf Dachterrassen und Balkonen halten kann, die sehr schön fruchten.

Was sollten nun all jene auf jeden Fall beachten, die sich jetzt einen naturnahen Garten anlegen möchten?

Wichtig ist die Biodiversität, also unterschiedliche Lebensräume nebeneinander. Und: Im naturnahen Garten muss man Strukturen, Habitate schaffen: das sind also alte Baumstucken, Wurzelstücke, Lesesteinhaufen, auch mal eine Pfütze mit Lehm ausgekleidet, wo ein Lebewesen was findet. Dann auch ein Laubhaufen, der an schattiger Stelle zu Kompost wird, ein Gehölzhaufen als Unterschlupf für den Igel. Ein Komposthaufen gehört auch dazu, da wird ja praktisch recycelt. Dann kann man natürlich künstlich dazu helfen, indem man Fledermauskästen, Vogelnistkästen anbringt oder ein Insektenhotel baut, aber auch ein alter dicker Zaunpfahl bietet Lebewesen Unterschlupf.

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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