Scheidender Leiter des Stadtbauamts:"Die Kehrtwende ist eingeleitet"

Lesezeit: 8 min

Revitalisierung der Altstadt, Neuplanung des MD-Geländes und Wachstumsdruck: 15 Jahre lang begleitete Bauamtsleiter Michael Simon die Entwicklung von Dachau - jetzt geht er in den Ruhestand

Interview von Viktoria Großmann

Im Dezember wird Michael Simon als Bauamtsleiter der Stadt Dachau in den Ruhestand verabschiedet. Nach 15 Jahren zieht der Architekt Bilanz über seine Erfolge und Niederlagen in der Stadtverwaltung. Er spricht über die Potenziale Dachaus und die Veränderungen, die das Wachstum mit sich bringt.

Sind Sie froh, dass Sie es bald hinter sich haben?

Nein. Ich habe mir meine Bewerbung damals genau überlegt und mich gefragt, was ich mir zutraue. Ich bereue es nicht, dass ich gekommen bin. Es gibt viele Themen, die mich hier nach wie vor interessieren und als Stadtbauamtsleiter habe ich ganz andere Entscheidungsspielräume als in so einem großen Referat wie in München, wo ich vorher war. Ich war für die Fünf Höfe zuständig. Der Jakobsplatz, das jüdische Zentrum, war eines der wichtigsten Projekte, die ich als Projektleiter betreut habe. In München war alles sehr arbeitsteilig. Hier bin ich breiter aufgestellt.

Und dann kümmern Sie sich in Dachau um den Umbau bei Bäcker Hartmann.

Das ist natürlich eine andere Größenordnung. Aber die Aufgaben sind unglaublich vielfältig. Das geht von Kindergärten über die Gestaltung öffentlicher Plätze bis zum Schneeräumen im Winter. Das alles ist Stadtbauamt.

An welches Projekt werden Sie sich erinnern?

Die Revitalisierung der Altstadt, der neu gestaltete Zugang zur KZ-Gedenkstätte, die soziale Stadt Dachau Ost und das MD-Gelände. Was da geschafft wurde oder noch wird, das sind nicht meine alleinigen Erfolge, aber wir haben die Projekte im Stadtbauamt voran gebracht.

Ist die Altstadt jetzt so lebendig, wie Sie es sich wünschen?

Aus meiner Sicht ist das Altstadtsterben angehalten, die Kehrtwende ist eingeleitet. Die Altstadt ist ein historisches Kleinod. Als ich vor 15 Jahren hier anfing, war es zunehmend verödet. Leerstand, keine Nutzungen, keine Investitionen. Ich wollte das Kapital in der Altstadt halten oder es zurückholen. Eine wichtige Voraussetzung war, weitere Entscheidungen für den Einzelhandel wie am Schwarzen Graben oder am Wettersteinring nicht zu wiederholen. Wir haben das durch das Einzelhandelskonzept abgesichert. Auch die Ausweisung neuer Siedlungen im Außenbereich wie am Udldinger Hang wurde vermieden. Dadurch konnten wir den Investitionsdruck in die Stadt zurückholen und Außenbereiche vor weiterer Zersiedlung schützen.

Wenn man noch mehr Gebiete wie den Udldinger Hang ausgewiesen hätte, gäbe es jetzt keinen Wohnbau an der Koschade-Klinik und im Hörhammer?

Ja, das glaube ich schon. Das habe ich auch in München gelernt: Das Kapital, das investieren will, in richtige Bahnen zu lenken. Ich wollte es in der Innenstadt halten. Wir haben neues Wohnen, Kultur, Gastronomie. Hoffentlich auch bald neuen Einzelhandel. Das Kaufhaus Hörhammer ist für mich ein wichtiger Baustein. Das war mir sehr wichtig, da eine Lösung zu suchen, auch wenn das nicht so einfach ist. Aber das ist ein richtiges Signal.

Auch ein Rathaus in der Altstadt könnte so eine Wirkung haben.

Wir versuchen, es in die Altstadt zu holen, weil wir Adressen in der Altstadt brauchen, damit die Leute hier hoch kommen. Ein Rathaus bringt Leben rein.

Einige Stadträte, darunter die CSU-Fraktion, befürworten das Wiesböck-Anwesen an der Münchner, Ecke Schleißheimer Straße.

Das ist ein Grundstück, das ich nachfolgenden Generationen überlassen möchte, wenn die mal wirklich eine wichtige öffentliche gesellschaftliche Aufgabe haben. Das Wiesböck-Anwesen ist zu schade für ein Rathaus und zehnmal zu schade für irgendeinen Einzelhandel.

"Man braucht einen langen Atem und die Unterstützung des Oberbürgermeisters": Stadtbauamtsleiter Michael Simon zieht nach 15 Jahren Bilanz. (Foto: Toni Heigl)

Ist die Idee, das Rathaus am Karlsberg zu erweitern, aus der Welt?

Reizvoll wäre es schon. Weil man es auch mit einem Aufgang von der Ludwig-Thoma-Wiese verbinden könnte. Entweder lässt man das Rathaus den Berg herunter wandern und macht im oder über dem Rathaus einen Aufgang oder die Alternative: eine Nadel mit einem Aufzug und einem Steg auf die Rathausterrasse. Aber das Grundstück ist von den Proportionen sehr schwierig. Die Relation Nutzfläche zu Verkehrsfläche wäre ungünstig und es wäre eine sehr teure Maßnahme.

Wie viel Einfluss hat die Stadt eigentlich auf ihr Abbild?

Die Stadt ist Eigentümerin des öffentlichen Raums und hat da ihren Gestaltungsbereich. Mir ist es wichtig, dass die öffentlichen Flächen nicht mehr dem Konsumzwang unterliegen. Da gab es Bestrebungen. Die öffentliche Hand sollte hier die Kontrolle über den öffentlichen Raum nicht aus der Hand geben. Gerade in Zeiten, wo die soziale Schere auseinander geht, muss ich schauen, dass der öffentliche Raum für alle zugänglich ist. Und nicht die schönen Räume mit einem Konsumzwang belegt sind, dass man sich da nur noch hinsetzen kann, wenn man das Bier oder den Espresso bezahlen kann. Und wenn man den nicht bezahlen kann, darf man nicht hin.

Gibt es dafür ein Beispiel?

Ein gutes Beispiel ist die Dorflinde am Widerstandsplatz. Dort haben wir die Rundbank um den Baumstamm und das Holzplateau eingerichtet. Das sind kleine Maßnahmen, die aber wichtig für die Aufenthaltsqualität sind. Dazu gehört auch die Sitzhöhe. Ich habe grundsätzlich mal festgelegt, dass bei allen Bänken, die wir austauschen, die Sitzhöhen erhöht werden. Weil es für Senioren so einfacher ist, wieder hochzukommen.

Wie wichtig war die Neugestaltung des Zugangs zur KZ-Gedenkstätte für die Stadt?

Für mich ist die KZ-Gedenkstätte für das Selbstverständnis und die Außenwahrnehmung der Stadt von besonderer Bedeutung. Dachau ist heute ohne die Gedenkstätte nicht mehr denkbar. Zum Glück ist die Zeit vorbei, als sich viele in der Stadt sehr schwer taten mit diesem Erbe. Sichtbar wird das durch den neuen, eigentlich alten Zugang zur Gedenkstätte durch das frühere Jourhaus. Stellen Sie sich vor, wie das früher war: Besucher aus aller Welt fahren am Gewerbegebiet vorbei in die KZ-Gedenkstätte und die Stadt Dachau sagt, wir haben damit nichts zu tun. Das war auch ein Verdienst von Oberbürgermeister Peter Bürgel, dass er seine Fraktion (die CSU, Anm. d. Red.) dazu gebracht hat, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen.

Ein Projekt, das Sie nicht abschließen werden, ist das MD-Gelän de . . .

Ich denke, wir haben das Projekt in den letzten Monaten auf einen guten strukturierten Weg gebracht. Wir sehen das Quartier bewusst nicht als eigenen Stadtteil.

Trotz immerhin 2000 neuen Einwohnern und etwa 1000 Arbeitsplätzen?

Darüber habe ich lange nachgedacht und ich sehe es als räumliche Weiterentwicklung der Altstadt. Ich möchte deshalb eine Öffnung des Quartiers zur Altstadt und eine Reduzierung des trennenden motorisierten Verkehrs an der Ludwig-Thoma-Straße. Es muss eine gewisse Dichte geben, als Voraussetzung für kurze Wege. Auch für die Auslastung von technischer und sozialer Infrastruktur und ein wirtschaftlich attraktives ÖPNV-Angebot. Dichte und damit Höhe ist in Dachau immer sehr umstritten.

Ja. Aber wir können es uns nicht erlauben, weiter mit Einfamilien- und Reihenhäusern zu planen. Noch dazu in Lagen, wo der ÖPNV wichtig ist. Da müssen wir auch realisieren, dass wir inzwischen eine Mittelstadt sind, die einen hohen Druck hat. Einen ÖPNV in einer zersiedelten Landschaft, den kann keiner zahlen. Oder Nahversorgung mit Einzelhandel oder Gesundheitsnahversorgung, Dienstleistungen. Das ist in nicht dichten Räumen nicht mehr bezahlbar. Entweder für den einzelnen Bürger nicht bezahlbar oder die Kommune kann es sich nicht mehr leisten. Wo sind die attraktiven Räume? In der Stadt der kurzen Wege. Nicht draußen auf dem Land. Da vereinsame ich.

Sie mussten oft viel Kritik einstecken.

Das muss man aushalten. Ein früherer Vorgesetzter hat mir gesagt: Ein Stadtbaurat ist wie ein Watschnmann. Wenn man von allen Seiten gleich viele Schläge bekommt, dann liegt man vermutlich richtig in der Mitte. In Bereichen, wo Bauen und Grundstücke so teuer sind, laufen Auseinandersetzungen mit allen Mitteln. Da wird oft mit harten Bandagen gekämpft. Die Rechtsanwälte der Bauherren und die Nachbarn sagen oft nicht dasselbe.

Wie setzt man also etwas um?

In dem man den Oberbürgermeister, den Stadtrat und die Bürger überzeugt. Mit drei Strategien: Versachlichung mit Fakten, Zahlen und Gutachten und Bürgerbeteiligungen. Wir haben zum Beispiel geschaut, wie viel Baurecht im Innenbereich besteht.

Und?

Jede Menge. Und das zeigt mir auch: Projekte wie das Himmelreich gehören aus dem Flächennutzungsplan heraus genommen. Wir haben so viele Projekte in der Pipeline, da brauche ich nicht diese Äcker im Himmelreich für eine Siedlungsnutzung vorsehen. Das ist völlig falsch. Es gibt die Rahmenplanung Augustenfeld und MD. Das Wachstum soll ja auch gleichmäßig erfolgen. Das sprunghafte Wachstum verursacht Schwierigkeiten.

Weil es teuer ist?

Auch. Dann reicht plötzlich der Abwasserkanal nicht mehr aus. Das muss effizient gesteuert werden, auch, was die Schulen angeht. Damit ich nicht auf einmal zwei Schulen brauche und nach einigen Jahren stehen dann zwei leer. So ist es eben auch mit Leitungen und Kanälen. Da liegt sehr viel Geld unter der Straße.

Ein scheinbar unlösbares Problem ist der Verkehr in der Stadt Dachau. Die Straßen werden nun einmal nicht breiter. Aber mehr Menschen erheben Anspruch darauf, sie zu nutzen.

Auf die Zahl der Zulassungen von Autos haben wir natürlich keinen Einfluss. Aber wir können die Straßenräume so gestalten, dass andere Verkehrsarten attraktiver werden. Etwa in Augustenfeld oder auch MD, wo verkehrsberuhigte Wohnstraßen mit Garagen am Rand der Wohngebiete geplant sind. Wenn an den Stellplätzen auch regelmäßig ein Bus abfährt, dann kann das Menschen dazu bewegen, das Auto überhaupt stehen zu lassen und in den Bus einzusteigen. Wichtig sind auch Taktverdichtungen und der zentrale Busbahnhof am Bahnhof. Ein Projekt, das leider viel zu langsam voran kommt.

Das MD-Gelände muss das noch belebt werden. (Foto: Toni Heigl)

Was bringt der Radverkehr?

Den fördern wir deshalb, weil Gutachten gezeigt haben, dass sehr viele Menschen für Strecken innerhalb Dachaus das Auto nutzen. Da nützt uns eine Umgehungsstraße nichts, aber Lückenschlüsse im Radwegenetz schon.

Das allein reicht aber nicht.

Beim Thema Verkehr hätte ich mir gewünscht, dass ich weiter komme. Da sind viele noch zu sehr auf den motorisierten Verkehr fokussiert und es fehlt ein bisschen der Mut, etwas Neues auszuprobieren. Wir können nur die vorhandenen Flächen verteilen, möglichst gerecht. Aber bei der Frage, was gerecht ist, gehen die Meinungen auseinander. Deshalb ist es gut, sich nun mit dem ruhenden Verkehr, also abgestellten Autos, auseinander zu setzen.

Es wird über weitere Anwohnerparkzonen nachgedacht.

Persönlich finde ich Bewirtschaftung einen guten Ansatz, um den ruhenden Verkehr im öffentlichen Raum besser zu steuern. Die Kosten für das Parken im öffentlichen Raum müssen mal volks- und betriebswirtschaftlich gerecht besteuert oder behandelt werden. Was kostet ein Tiefgaragenplatz auf dem Baugrundstück und was kostet ein Parkticket in einer öffentlichen Straße? Das ist ein krasses Missverhältnis. Parken im öffentlichen Raum ist viel zu billig. Mit monetären Anreizen kann man Verhalten steuern.

Sie fahren selbst viel Fahrrad.

Ja, weil ich mit meiner Zeit geize und weil es gesund ist und mir Spaß macht. Und weil ich denke, ich sollte auch ein Vorbild sein.

Wie hat sich Dachau entwickelt, seit Sie hier sind?

Es gab damals ein krasses Missverhältnis von Einwohnern und Arbeitsplätzen. Ich wollte etwas tun gegen die Germerisierung von Dachau. Es sollte keine Schlafstadt werden. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze mehr als doppelt so stark gestiegen wie die Zahl der Einwohner. Ich finde, das ist ein erheblicher Erfolg.

Und das, obwohl die MD-Papierfabrik geschlossen hat.

Dachau ist, seit ich hier bin, um 8000 Einwohner gewachsen. Entsprechend haben wir etwa 100 Millionen Euro in den Ausbau der sozialen Infrastruktur investiert. Die Schule Augustenfeld und Klosterschule, die Kindertagesstätten.

Was macht Dachau besser als andere Städte im Großraum München?

Ich denke, die Städte sind in einer Konkurrenzsituation, Freising, Erding, Fürstenfeldbruck, bis nach Landsberg und Moosburg. Ich habe immer die Position vertreten, dass wir uns um Attraktivität und Alleinstellungsmerkmale bemühen müssen, damit wir vorne mitspielen. Dazu gehört zu akzeptieren, dass es Wachstum gibt. Man muss es aber steuern und auf Qualität achten. Ich glaube, dass Dachau eine gute Position hat aufgrund historischer und geografischer Gegebenheiten.

Sie wollten, dass Dachau ein Oberzentrum wird.

Das hat leider nicht geklappt. Letztlich fehlte noch ein kleines Detail, aber im Stadtrat hat man auch nicht erkannt, welches Potenzial darin steckt. Ein Oberzentrum darf Institute, Forschungszentren, Hochschulen ansiedeln, das wäre wichtig gewesen. Nun gibt es diese Kategorie ohnehin nicht mehr. Dachau bleibt Mittelzentrum. Dachau ist nach Neu-Ulm und Freising die drittgrößte Große Kreisstadt Bayerns. Dachau könnte also mehr Zentralität generieren, hat aber den Nachteil zu nah an München zu sein.

Was können Sie Ihrem Nachfolger mit auf den Weg geben?

Man bekommt nicht immer Recht. Man braucht einen langen Atem und die Unterstützung des Oberbürgermeisters, die ich von Oberbürgermeister Bürgel und Oberbürgermeister Hartmann immer hatte.

© SZ vom 03.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: