Reservisten üben im Landkreis :Zu Wasser und zu Land

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Die Reservistenkameradschaft Dachauer Land bewältigt in einer zweitägigen freiwilligen Übung abenteuerliche Bootsfahrten und 35 Kilometer Marschstrecke

Von David Holzapfel

Dunkelgraue Wolken hängen am Himmel, es sieht nach Regen aus. Fast lautlos gleiten die beiden Boote über das Wasser. Links und rechts zieht langsam das dicht bewachsene Ufer der Amper vorbei. Angespannt blicken die fünf Männer um sich. Die Lage ist ernst. Der Dachauer Landkreis ist besetzt worden. Von wem, das ist unklar. Klar ist nur eines: Hinter jedem Baum, jedem Fels kann der Feind lauern. Es beginnt zu regnen. Erst fallen vereinzelt Tropfen, dann schießt das Wasser sintflutartig vom Himmel. Innerhalb weniger Sekunden sind die Tarnuniformen der Männer vollkommen durchnässt. Die Amper macht jetzt einen Schlenker nach links, in Sicht kommt eine kleine Holzbrücke. Plötzlich, ein lauter Ruf durchbricht die Stille: "Achtung, Sprengladung!". Martin Thon bedeutet den Männern mit einer Geste, ihm zu folgen. "Schauen wir uns das an".

Thon, grau melierter Bart und muskulöse Statur, ist der Vorsitzende der Reservistenkameradschaft Dachauer Land. Der Sprengsatz, den er und seine Kameraden gerade entdeckt haben, ist nicht echt, ebenso wenig ist es die Belagerung des Dachauer Landkreises. Das apokalyptische Szenario ist Teil einer freiwilligen Übung, den die Reservistenkameradschaft mit Unterstützung des Dachauer Landkreises, Wasserwacht und THW auf die Beine gestellt hat. Der Umfang der Übung ist enorm: Zwei Tage, 35 Kilometer Marschstrecke mit Hindernissen, Bootsfahrten, Militärreitern, historischen Fahrzeugen. Die Vorbereitungen dauerten ein ganzes Jahr. Insgesamt 100 Teilnehmer sind nach Dachau gereist, sie kommen aus Bayern, Hessen, Baden Württemberg und anderen Teilen der Bundesrepublik. Wer aber sind diese Männer, die sich bei strömendem Regen freiwillig über Stahlseile hangeln, unter freiem Himmel schlafen und mit schwerem Gepäck Gewaltmärsche vollziehen?

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(Foto: Niels P. Joergensen)

Der Umfang der Übung der Reservistenkameradschaft Dachauer Land ist enorm.

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(Foto: Niels P. Joergensen)

Zwei Tage lang bewegen sich die Teilnehmer mit Booten,...

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(Foto: Niels P. Joergensen)

...zu Fuß oder mit Fahrzeugen fort.

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(Foto: Niels P. Joergensen)

100 Männer nehmen teil.

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(Foto: Niels P. Joergensen)

Darunter sogar Militärreiter mit Uniformen aus dem Ersten Weltkrieg.

Was Thon und die anderen Teilnehmer der Übung gemeinsamen haben, ist, dass fast alle von ihnen früher Teil der Bundeswehr waren, zumindest die Grundausbildung absolviert haben. Und wie jeder, der in der Bundeswehr gedient hat, sind auch sie heute automatisch Mitglieder der Reserve. Offizielle Zahlen, die Aufschluss darüber geben, wie viele Reservisten es im Dachauer Landkreis gibt, sind schwer zu bekommen. Thon sagt: "Es müssen Tausende sein". Die Aufgabe der Reserve ist es, zu helfen, wenn Flüsse über die Ufer treten oder wenn es wieder so heftig schneit wie im vergangenen Winter, als Helfer aus weiten Teilen des Freistaates gebraucht wurden. Sie sollen außerdem Kasernen bewachen und alliierte Truppen begleiten, wenn die sich durch Deutschland bewegen. Die Reservisten sind gedacht, um die aktiven Soldaten zu entlasten wo immer nötig - selbst im Auslandseinsatz oder im Büro von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer. Sie springen ein, wenn Kameradinnen und Kameraden in Elternzeit gehen oder sich fortbilden. Ihre Dienstzeit kann wenige Wochen bis einige Monate dauern.

Zurück im Dachauer Landkreis. Eine grüne Wiese westlich von Erdweg, gemächlich fließt die Glonn keine 50 Meter entfernt vorbei. Der Himmel ist inzwischen aufgeklart, die dunklen Wolken sind vereinzelten Sonnenstrahlen gewichen. Inmitten einer kleinen Baumgruppe parkt ein großer Lastwagen. Auf seine Ladefläche, überspannt von einer Plane, befindet sich der "mobile Gefechtsstand", also die Schaltzentrale der Reservistenübung. Überall verteilt hängen Karten des Dachauer Landkreises, ein aufgeklappter Laptop steht auf einem Feldtisch. "Hier laufen alle Informationen zusammen", sagt Hans Eberhard. Welches Team befindet sich wo? Wie lange dauert die Verlegung zur nächsten Station? Eberhard ist leidenschaftlicher Sammler historischer Bundeswehr-Fahrzeuge, er hat den mobilen Gefechtsstand, einen MAN 360, Baujahr 1963, zur Verfügung gestellt. Und auch er ist Mitglied der Dachauer Reservistenkameradschaft.

Landrat Stefan Löwl, CSU, der selbst Reserveoffizier bei der Bundeswehr ist, unterstützt die Truppe tatkräftig. (Foto: Niels P. Joergensen)

Die Bundeswehr steht aktuell nicht gut da. Ende 2018 kam sie auf 173 022 Berufs- und Zeitsoldaten. Bei Dienstgraden vom Unteroffizier an aufwärts waren zu diesem Zeitpunkt jedoch 21 490 Posten nicht besetzt. In nahezu allen Bereichen und quer über alle Laufbahnen fehlt der Truppe Personal. Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, ist besorgt. In seinem Jahresbericht hält er fest, dass der Mangel die Truppe belaste, Besserung sei nicht in Sicht.

Neue Aufgaben hingegen gibt es zuhauf: Die Digitalisierung der Streitkräfte muss bewältigt werden. Außerdem soll sich die Bundeswehr wieder stärker auf die Landes- und Bündnisverteidigung konzentrieren. Die Wehrpflicht wurde 2011 ausgesetzt und Jahr für Jahr bewerben sich immer weniger für den Dienst. Eberhard sagt: "Es gibt praktisch keinen Nachwuchs mehr".

Übungen wie die der Dachauer Kameradschaft seien wichtig, um die Präsenz der Bundeswehr in der Gesellschaft wach zu halten. Er blickt nachdenklich. Klar, das Gemeinschaftsgefühl, der Zusammenhalt in alten Bundeswehrzeiten komme da schon auch wieder auf. "Mit Nostalgie hat das aber nichts zu tun". Was auffällt an diesem Wochenende: Die Leidenschaft, mit der sich die Reservisten an der Übung beteiligen, ist fast schon mit Händen greifbar. In ihrem zivilen Leben sind sie Ingenieure, Elektriker, Versicherungsmakler, auch ein Geologe ist dabei. Hier, wenn sie ihre Uniform übergestreift haben, sind die Männer Teil eines Teams, einer Gemeinschaft mit ähnlicher Vergangenheit und ähnlichen Interessen. Martin Thon sagt: "Jeder bringt seine individuellen Fähigkeiten mit ein". Erst dann funktioniere eine solche Übung.

Von den zwölf am Samstag gestarteten Teams haben es am Sonntag elf unbeschadet ins Ziel geschafft. Eine Mannschaft musste wegen eines Knieverletzten frühzeitig abbrechen. Martin Thon ist zufrieden. Für die erste Übung, die er und sein Team in dieser Art veranstaltet haben, sei die Rückmeldung sehr gut gewesen. Und vielleicht entdecken die Bewohner Dachaus schon bald wieder historische Bundeswehr-Fahrzeuge und Militärreiter auf den Straßen des Landkreises. Im Jahr 2021 nämlich will die Reservistenkameradschaft Dachau die Übung in ähnlicher Form wiederholen.

© SZ vom 09.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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