Odelzhausen / Quito:Ein Pionier am Chimborazo

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Der Odelzhausener Paralympics-Sportler Michael Teuber will als erster Mensch mit Handicap den legendären Sechstausender in Ecuador bezwingen. Sein kühnes Beispiel soll andere ermutigen, die eigenen Grenzen auszuloten

Von Christiane Bracht, Odelzhausen / Quito

Gerade erst hat er seine fünfte Paralympics-Goldmedaille aus Rio de Janeiro mit nach Hause gebracht und könnte sich eigentlich glücklich und zufrieden zurücklehnen, den Winter genießen - ausspannen. Aber Michael Teuber ist keiner, der sich auf Erfolgen ausruht, er ist ein Kämpfer. Und so hat sich der Odelzhausener längst eine neue Herausforderung gesucht: Er will hoch hinaus. Der Chimborazo, der höchste Berg Ecuadors, lockt ihn. Am Wochenende hat er sich bereits auf den Weg nach Quito gemacht. Dort trifft der inkomplett querschnittsgelähmte Leistungssportler eine kleine Gruppe von Bergsteigern des DAV-Summit Clubs und vor allem den Expeditionsleiter Marco Cruz. Dieser gilt als der "Reinhold Messner der Anden". Teuber ist stolz, dass ausgerechnet er ihn zum Gipfel begleiten will. Cruz ist nämlich ziemlich ausgebucht. Mehr als 600 Mal hat der Expeditionsleiter den Chimborazo schon bestiegen.

Hoch über der Stadt Riobamba erhebt er sich: der höchste Berg Ecuadors - der Chimborazo. (Foto: AFP)

Für Teuber, der sonst seine Zeit eher auf dem Sattel seines Rennrads verbringt und für den normalerweise die Geschwindigkeit mehr zählt als die Höhe, ist das Bergsteigen ein besonderes Abenteuer. Es ist zwar nicht der erste Ausflug in die Welt Gipfelriesen, 2008 hat er bereits den El Teide in Teneriffa erklommen und 2010 bezwang er den Kilimandscharo. Jetzt will er sich trotz aller Risiken noch einmal steigern. "Es ist einfach toll, das Maximum zu erreichen", schwärmt er. Auf dem höchsten Berg Afrikas hat er die Erfahrung bereits gemacht: "Weit und breit gibt es nichts Höheres, und man ist mit sich und seiner Anstrengung allein. Das hat etwas Absolutes." Damals musste er fast 6000 Meter hochsteigen, jetzt will er es noch einmal wissen, nur dass der Gipfel diesmal auf etwa 6300 Metern liegt. Aber warum gerade der Chimborazo? "Er ist ein markanter Berg - mächtig und bedeutend. Außerdem umgibt ihn ein besonderer Mythos", erklärt der 49-Jährige. "Vor 215 Jahren hat Alexander Humboldt die ersten Erfahrungen auf dem Chimborazo gemacht, doch er scheiterte auf 5600 Metern." Teuber will nun als erster Mensch mit einem Handicap nach ganz oben. Ein bisschen mulmig ist ihm schon. Denn neben der Höhenkrankheit, die jeden Menschen treffen kann, muss er mit noch viel größeren Risiken kämpfen. Der Gipfel hat eine 45 Grad steile Flanke, die vergletschert ist. Für jemanden, dessen Beine von den Knien abwärts gelähmt sind, ist das extrem schwierig. "Ich muss mit Sicherung arbeiten", erklärt Teuber. Denn er kann nicht spüren, ob er genug Halt hat, er muss sich jeden Schritt genau anschauen und abschätzen, ob er nicht wegrutschen kann.

Vor 215 Jahren hat Alexander Humboldt die ersten Erfahrungen beim Anstieg auf dem Chimborazo gemacht. (Foto: dpa)

Noch problematischer könnte die Kälte sein. "Wenn ich merke, dass mir kalt ist, ist es vielleicht schon zu spät", weiß der Sportler, denn er kann seine Füße seit dem Unfall vor 30 Jahren nicht spüren. Klar hat er vorgesorgt: Merino-Wollsocken, isolierte Schuhe und Gamaschen wird er tragen. Aber das macht schließlich jeder Bergsteiger. "Ich habe noch Thermopads aus Aktivkohle, die ich als Schuhheizung in die Stiefel hineinlegen kann", sagt Teuber. "Aber es kann sein, dass der Zeh nachher trotzdem blau ist. Es ist eben sehr kalt und gefährlich auf dem Berg." Jeden anderen würde diese Aussicht abschrecken, den Odelzhausener nicht. "Wer nichts wagt, der nichts gewinnt", sagt er herausfordernd. "Und wer nichts versucht, kann nicht scheitern." Gut, man könnte sich auch andere Ziele stecken, die vielleicht weniger gefährlich sind. Aber Teuber will "was erleben und an seine Grenzen gehen". Noch hat er sie nicht erreicht, obwohl er für einen Leistungssportler schon ziemlich alt ist. "Ich habe meine persönliche Bestleistung mit 48 Jahren erreicht", sagt er stolz mit Blick auf den vergangenen Sommer. "Ich kann noch immer gewinnen, ist das nicht toll?"

Gewinnen, das ist ihm wichtig. Teuber ist extrem ehrgeizig. Solange er die Aussicht auf einen Sieg hat, bleibt der Radsport für ihn spannend. "Und ich kann dem Alter ein Schnippchen schlagen", triumphiert er. Auch im Bergsteigen kann der Odelzhausener sich noch steigern, da ist er sich sicher. Allerdings fühlt er, dass die Grenze nicht mehr sehr weit ist. Anders als im Radsport ist Teuber am Berg auf andere angewiesen. Aus eigener Kraft kann er den Gipfel nicht bezwingen. Das weiß er und es ist für ihn ungewohnt. Denn eigentlich ist er Einzelkämpfer. Am liebsten setzt er sich selbst die Ziele und beißt sich durch. Doch jetzt muss er sich auf andere verlassen, ihnen vertrauen. Eine Seilschaft ist eben ein Team, und Teuber weiß, dass er einige Kletterpassagen ohne die Hilfe seiner Seilschaft nicht hinaufkommt, weil er seine Füße nicht so setzen kann wie ein Gesunder.

Expeditionsleiter Marco Cruz und sein Freund Thilo Komma-Pöllath, der ihn ebenfalls begleitet, werden ihn an diesen Stellen wohl hinaufziehen müssen. Aber der Paracycler ist selbstbewusst. Er ist sich sicher, dass die anderen nicht nur auf ihn Rücksicht nehmen müssen, sondern dass auch sie von ihm profitieren. "Ich kann sie mit meiner Stärke und meinem Willen mitziehen", davon ist er überzeugt. "Es wird eine besondere Erfahrung, auf die ich mich einlassen muss, aber am Kilimandscharo hat es funktioniert", sagt er zuversichtlich.

13 Tage hat Teuber für die Gipfelbesteigung eingeplant, unterstützt wird er wie immer von der Sparkasse Dachau und dem DAV Summit Club. Ausgangspunkt ist das Basislager auf 4000 Meter Höhe. Nach einer mehrtägigen Akklimatisierungsphase wird er den neunstündigen Aufstieg auf den Gipfel wagen. 15 Stunden wird die Seilschaft an diesem Tag voraussichtlich unterwegs sein. Für den Paralympics-Gewinner ist die Seilschaft gelebte Inklusion. Ein Thema, das ihm sehr wichtig ist, ebenso wie die Gleichstellung im Sport. Seit Jahren schon setzt er sich dafür ein. Er glaubt, nur wenn Regierung und Verbände den Behinderten ebenso viel Material und Förderung zukommen lassen, erfahren sie auch mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung. Teuber ist einer der wenigen Behindertensportler, die von Sponsorengeldern und Wettkämpfen leben können. Außerdem ist er sich seiner Vorbildfunktion bewusst. Mit der Besteigung des Chimborazo will er auch eine Botschaft an alle senden, die etwas verändern wollen: "Geht nicht nur den bequemen Weg, sondern schaut auch über den Tellerrand der eigenen Komfortzone hinaus. Die eigenen Grenzen zu testen und vielleicht auch zu überwinden, kann unglaublich befreiend wirken."

© SZ vom 31.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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