Nachruf:Als 17-Jähriger im KZ

Lesezeit: 2 min

Vladimír Feierabend nahm immer an den Gedenkfeiern in der KZ-Gedenkstätte Dachau teil. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Tscheche Vladimír Feierabend, Spross einer bekannten Prager Familie, hat drei Jahre Haft in Dachau überlebt. Am Sonntag ist der berühmte Zeitzeuge im Alter von 96 Jahren in seiner Heimatstadt gestorben

Von Helmut Zeller, Dachau/Prag

Die Kamera läuft. Vor dem Internationalen Mahnmal an der KZ-Gedenkstätte Dachau spricht ein hochgewachsener, schlanker Mann. Eine elegante Erscheinung in Anzug, mit Krawatte und Sonnenbrille. "Wenn ich hier so sitze, sagt er, "und auf den Appellplatz blicke, dann sehe ich die tausenden Menschen, die hier durchgegangen sind, und ich gedenke all jener, die hier ums Leben gekommen sind". Bei den letzten Worten nimmt Vladimír Feierabend seine Sonnenbrille ab und schaut in die Kamera. Ein fester Blick, voller Güte, traurig auch über den Tod so vieler, der ihn noch nach seiner Rückkehr nach Prag verfolgte. Vladimír Feierabend war von 1942 bis 1945 Häftling im Konzentrationslager Dachau - er ist 17 Jahre alt, ein Gymnasiast, als ihn die Gestapo am 1. Juli in seiner Heimatstadt Prag verschleppt. Der Junge kommt auf dem Höhepunkt einer Welle von Terror und Mord im Lager an, er überlebt die Typhusepidemie im Winter 1942/43, auch die Seuchen in dem völlig überfüllten Lager im letzten Jahr vor der Befreiung am 29. April 1945 durch amerikanische Truppen.

"Das Böse", sagt Vladimír Feierabend in dem Interview. Das Böse, die Deutschen, hatte sich in seiner Stadt schon breitgemacht. Am 15. März 1939 war die deutsche Wehrmacht in Prag einmarschiert. Sechs Tage vor seinem 18. Geburtstag schlug die Gestapo zu. Sie nimmt Vladimír Feierabend mit seiner Familie in "Sippenhaft". Sein Onkel Ladislav Feierabend Minister in der tschechoslowakischen Exilregierung in London, hat im Mai 1942 das Attentat auf Reinhard Heydrich veranlasst. Tschechische und slowakische Widerstandskämpfer verwunden den "stellvertretenden Reichsprotektor" tödlich, wenige Monate nach der Wannseekonferenz in Berlin, auf der er mit anderen NS-Funktionären die Vernichtung der Juden besprochen hatte.

Vladimír Feierabend wird über das Gestapogefängnis in der Kleinen Festung Theresienstadt nach Dachau verschleppt. Dort arbeitet er von Ende 1942 an als Schreiber für die Politische Abteilung der Gestapo. Der Einsatz in dem Verwaltungskommando ermöglicht dem jungen Mann das Überleben. Körperliche Schwerstarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie und die Verlegung in andere Konzentrationslager bleiben ihm erspart. In der Gedenkstätte sind Briefe erhalten, die er aus dem Lager zu seiner Mutter Marie im KZ Ravensbrück schmuggeln lassen konnte. In Dachau waren ungefähr 5500 Tschechen gefangen, davon überlebten 1346 nicht. Alle Mitglieder der Familie Feierabend überleben die KZ-Haft, der Großvater stirbt jedoch kurz nach seiner Befreiung in Prag an den Folgen seiner Haft. Vladimír Feierabend sagte einmal, er sei bei allem Schmerz dennoch froh gewesen, dass sein Großvater noch einmal Prag gesehen habe. Mit 81 Jahren war sein Großvater der älteste Häftling im KZ Dachau. Ihm drohte stets die Ermordung. Die Tschechen im Lager, bis 1942 neben Polen und Deutschen die größte Häftlingsgruppe, hielten aber fest zueinander, einer von ihnen, der Häftlingsarzt Franz Blaha, sagte als Kronzeuge in den Dachauer Prozessen aus. Der spätere Historiker Stanislav Zámecník, der das Grundlagenwerk über die Geschichte des KZ - "Das war Dachau" - geschrieben hat, starb im Jahr 2011, kurz bevor die Stadt Dachau ihn mit dem Zivilcourage-Preis ehren wollte.

Nach dem Kriegsende ist die Familie innerhalb von drei Tagen in Prag wieder vereint. Vladimír Feierabend besucht weiter das Gymnasium und studiert anschließend Medizin. In der kommunistischen Ära der Tschechoslowakei muss die Familie Feierabend wieder große Angst ausstehen. Sie werden von den Kommunisten politisch verfolgt und 1952 aus Prag verbannt. Vladimír Feierabend trifft es schwer: Er wird wie viele Regimekritiker zu harter Arbeit in einem Bergwerk gezwungen.

Mitte der Sechziger, das politische Tauwetter zieht herauf, kann die Familie zurück nach Prag. Feierabend arbeitet in seinem Beruf als Arzt. Seit 1990 wirkt er als Vorsitzender der tschechischen Lagergemeinschaft im Comité International de Dachau und engagiert sich als Zeitzeuge, der durch sein präzises Gedächtnis, aber auch seinen Humor beeindruckt.

Vladimír Feierabend ist am Sonntag im Alter von 96 Jahren gestorben.

© SZ vom 16.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: