Gericht:Minutiöse Rekonstruktion

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Der Angeklagte muss sich wegen Mordes in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung vor dem Landgericht München II verantworten. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Im Erdweger Mordprozess entscheiden die Details des Tathergangs über das Strafmaß

Von Benjamin Emonts, München/Erdweg

Im Erdweger Mordprozess hat der 27-jährige Arvid K. bereits gestanden, eine 76-jährige Rentnerin in ihrem Haus in Großberghofen getötet zu haben. Nichtsdestotrotz wurden am zweiten Prozesstag vor dem Landgericht München II sieben Zeugen und ein Gutachter angehört. Weitere sollen nächste Woche folgen. Denn das Gericht steht vor der Aufgabe, Tatmotiv und Tathergang vom 28. Oktober vergangenen Jahres minutiös rekonstruieren zu müssen. Es will klären, ob eine besondere Schwere der Schuld vorliegt. Davon hängt das Strafmaß entscheidend ab: Es könnte sich von 17 Jahren auf vermutlich 25 Jahre erhöhen.

Die Anklage geht von Mord aus. Die Verteidigung indes versucht zu belegen, dass Arvid K. die Rentnerin nicht gefoltert, sondern in einem Anfall von Wut und Verzweiflung getötet habe. Deshalb muss geklärt werden, was am 28. Oktober vergangenen Jahres genau geschah. Der Anwalt von Arvid K. vertritt die Version, dass sein Mandant beim Stehlen der EC-Karte auf frischer Tat von der Rentnerin ertappt wurde und aus dem Affekt und der Wut heraus zum Messer gegriffen hat, mit dem er sein Opfer schließlich erstach.

Die Staatsanwaltschaft hingegen rekonstruierte aus ihren Ermittlungen einen weitaus brutaleren Verlauf und wirft dem Angeklagten Mord in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung mit Todesfolge vor. Demnach wollte Arvid K. durch Gewalteinwirkung die PIN von der EC-Karte der Rentnerin erpressen. Deswegen folterte er die 76-Jährige, er würgte sie, schlug sie, schnitt sie, setzte ihr nach und erstach sie, mit insgesamt 14 Messerhieben.

Verteidiger Michael Pösl räumte am Freitag ein, dass es für ihn schwer sein wird, die Version der Anklage zu widerlegen. Vor diesem Hintergrund lieferte eine Zeugin am zweiten Prozesstag zumindest einen Hoffnungsschimmer. Sie war die Masseurin des Opfers und will mit ihm viel gesprochen haben. Daher wisse sie auch, dass sich die Rentnerin alles immer aufgeschrieben habe und leichtsinnig mit ihren Notizen umgegangen sei. Verteidiger Pösl will beweisen, dass die PIN, die sein Mandant angeblich mit Gewalt erpresst haben soll, bereits auf der EC-Karte geklebt habe.

Ein Gutachter vom Bayerischen Landeskriminalamt, der den Computer im Haus des Opfers untersucht hat, stellte hingegen fest, dass die dazugehörige Maus samt Schnur mit Gewalt aus dem PC herausgerissen worden war. Dies könnte ein Hinweis sein, dass der Angeklagte sein Opfer tatsächlich gedrosselt haben könnte.

Aus weiteren Aussagen ging zudem hervor, dass die Rentnerin bereits vor ihrer Ermordung in Angst gelebt habe. Zwei Zeugen gaben an, dass ihnen die 76-Jährige am Tag vor der Tat berichtet habe, dass ein Unbekannter eine Jacke über den Bewegungsmelder in ihrem Garten gehängt hatte. Der Angeklagte hatte vermutlich schon einen Tag zuvor Haus und Garten sondiert. "Da will mir wohl jemand das Licht ausmachen", habe die Rentnerin zu ihr gesagt, berichtete deren Physiotherapeutin weiter. "Aus irgendeinem Grund hatte sie Angst um ihr Leben", sagte die Zeugin.

© SZ vom 24.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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