Mobilität:Von wegen Luftnummer

Anfangs galt die Idee von Dachaus Bürgermeister Kai Kühnel, Staus mit dem Bau von Seilbahnen zu entschärfen, als Spinnerei. Inzwischen arbeiten Fachleute und Politiker intensiv daran, dass die Pläne Wirklichkeit werden können

Von Thomas Hürner

Istanbul. London. Rio de Janeiro. Caracas. Dachau. - Dachau? Wenn es nach Bürgermeister Kai Kühnel (Bündnis für Dachau) und seinen Vorstellungen über den Verkehr der Zukunft geht, dann soll die Große Kreisstadt ein Äquivalent zu den Millionenmetropolen aus aller Welt werden. Weil der Platz auf dem Boden eng ist, sowohl beim Wohnen als auch beim Reisen, wird dort bereits hoch in der Luft für Entlastung gesorgt: mit einer Seilbahn, die über den Dächern der Stadt schwebt und auch mühelos Seen, Täler und Berge passieren kann. Sicher, leise, kostengünstig, umwelt- und flächenschonend.

Für Bürgermeister Kühnel liegen sowohl die Vorteile als auch die Notwendigkeit dieser auf den ersten Blick ungewöhnlichen Lösung auf der Hand. Der Straßenverkehr im Großraum München sei "am absoluten Limit", der Ausbau von Straßen und Umgehungslinien "viel zu zeitintensiv" und wegen "massiven Platzmangels eingeschränkt". Das Credo von Kühnel lautet daher: "Wir müssen alles vorantreiben, was den Verkehr entlastet. Also warum nicht auch in der Luft?" Eine Seilbahn ist für ihn daher kein utopisches Gedankenspiel, sondern eine naheliegende Ergänzung im öffentlichen Nahverkehr. Um andere davon zu überzeugen, hat Kühnel unlängst den Versuch unternommen, einen der großen Kritikpunkte an Seilbahnen auszuräumen: die Geschwindigkeit. Verschiedene Zielpunkte in München habe er sich ausgewählt, erzählt Kühnel. "Dann bin ich ins Auto gestiegen, losgefahren und habe nebenbei die Uhr laufen lassen." Das Ergebnis: Die Seilbahn mit ihrer durchschnittlichen Geschwindigkeit von rund 25 Kilometern pro Stunde wäre schneller am Ziel gewesen - "und das deutlich nervenschonender", sagt Kühnel. Keine Ampeln, keine Staus, die Luftlinie als einzig relevantes Kriterium für den Zeitpunkt der Ankunft. Ist das die Zukunft? "Definitiv", sagt Kühnel. "Allerdings hat die Zukunft woanders ja schon längst begonnen."

Mobilität: In vielen lateinamerikanischen Millionenmetropolen gehören Seilbahnen inzwischen zum Stadtbild. Auch in La Paz (Bolivien) wurde ein solches urbanes Projekt von der österreichischen Firma Doppelmayr schon in die Realität umgesetzt.

In vielen lateinamerikanischen Millionenmetropolen gehören Seilbahnen inzwischen zum Stadtbild. Auch in La Paz (Bolivien) wurde ein solches urbanes Projekt von der österreichischen Firma Doppelmayr schon in die Realität umgesetzt.

(Foto: Doppelmayr)

Während vor allem in vielen lateinamerikanischen Großstädten längst auf das schwebende Verkehrsmittel gesetzt wird, dienen Seilbahnen hierzulande meist der Erschließung von Berggipfeln oder zum Erreichen von Sehenswürdigkeiten. "Durch die touristische Nutzung gibt es genug Erfahrung, die Technik infrastrukturell umzusetzen", sagt Kühnel. Immerhin habe Bayern bei Seilbahnen so etwas wie eine Vorreiterrolle in Deutschland inne: 124 der bundesweit 210 Seilbahnanlagen stehen schließlich im Freistaat.

Für das Dachauer Land hält Kühnel konkret den Anschluss an verschiedene S-Bahnstationen über den Luftweg für sinnvoll. Lücken im öffentlichen Nahverkehr könnten geschlossen werden, beispielsweise die Strecke vom Dachauer Bahnhof nach Feldmoching oder Oberschleißheim. Erst einmal müssten jedoch einige gesetzliche Hürden aus dem Weg geräumt werden, etwa die sogenannten Überflugrechte. "Ohne die Landesregierung bekommen wir das Verkehrsproblem nicht in den Griff", sagt Kühnel, der sich trotzdem auf kommunaler Ebene weiter für eine Seilbahn einsetzen will. Auch auf sein Drängen hin beschloss der Stadtrat im Februar, eine Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben. "Jetzt gilt es zusätzliche Partner zu gewinnen und im Austausch mit Leuten zu bleiben, die nach vorne denken", sagt Kühnel.

Mobilität: Die Stadt München als bundesweites Vorbild für die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs? Schon im Jahr 2025 könnte es am Frankfurter Ring so aussehen, wie auf dieser Ideenskizze. Simulation: Bayerische Hausbau

Die Stadt München als bundesweites Vorbild für die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs? Schon im Jahr 2025 könnte es am Frankfurter Ring so aussehen, wie auf dieser Ideenskizze. Simulation: Bayerische Hausbau

Dass eine Seilbahn grundsätzlich für ländliche Regionen im Münchner Speckgürtel sinnvoll sein kann, findet auch Heiner Monheim. Er ist emeritierter Professor für Raumplanung in Trier und der bundesweit führende Experte für Seilbahnen in der Stadt. In der Metropolregion München gebe es "20 bis 30 potenzielle Verbindungen", sagt Monheim, diese gelte es jedoch "genau nach den jeweiligen Bedürfnissen zu analysieren". Generell seien ländliche und nicht zu dicht bebaute Gegenden besonders prädestiniert für Seilbahnen, die jedoch nicht mehr als "kleine Ergänzungen für den Gesamtverkehr" sein könnten. Doch auch diese hätten "einen riesigen Effekt für das Verkehrsnetz", sagt Monheim, denn der Ausbau von tangentialen Verbindungen mache den Verkehr flüssiger und weniger anfällig. Auch würden Seilbahnen in einigen Bereichen besonders gut im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln abschneiden, etwa geringer Energieverbrauch, weil die Rollen kaum Reibung erzeugen, kaum Flächenverbrauch, weil lediglich Stützen und Stationen auf dem Boden angebracht sind - und günstig, weil die Technik an sich simpel ist. "Ich bin kein Seilbahn-Fetischist", sagt Monheim, "aber die Vorteile sind offensichtlich." Das gelte auch für die Effizienz: Je nach Größe der Gondeln und Frequentierung der Abfahrten können moderne Seilbahnen bis zu 7 000 Personen pro Stunde transportieren.

Fortgeschrittene Überlegungen hinsichtlich des Einsatzes von Seilbahnen existieren bislang aber nur in München. Dort könnte vielleicht schon im Jahr 2025 eine Seilbahn über die Hauptverkehrsader am Frankfurter Ring schweben. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und die ehemalige bayerische Verkehrsministerin Ilse Aigner (CSU) haben im Sommer ein Konzept vorgelegt, das schon bald im Stadtrat diskutiert werden soll.

Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) hat sich mit seinem Amts- und Parteikollegen Reiter inzwischen über dieses Thema ausgetauscht. Vor allem eines erschwert der Politik aber noch die Konkretisierung der Idee: die Suche nach Verkehrsplanern, die sich mit der Materie auskennen. "Seilbahnen sind hierzulande etwas völlig Neues", sagt Hartmann, "deshalb wird das Thema nicht an Universitäten gelehrt, auch wissenschaftliche Untersuchungen liegen noch nicht vor." Weil die tatsächliche Wirksamkeit auf den Verkehr hierzulande noch nicht abschließend erschlossen wurde, müssen noch internationale Großstädte als Referenzpunkte herhalten. Für Hartmann ist aber nicht nur mit Blick auf die geplante Machbarkeitsstudien für Dachau klar: "Wir müssen dieses Thema im Auge behalten."

Auch Landrat Stefan Löwl (CSU) will sich Innovationen für den Verkehr nicht verwehren, eine Seilbahn hält er für "grundsätzlich vorstellbar". Im Landratsamt befasse man sich bereits mit dem Thema, der rechtliche Rahmen und Erschließungsmöglichkeiten würden bereits analysiert und ausgewertet. Erste Ergebnisse seien jedoch erst Anfang 2019 zu erwarten, sagt Löwl. Für ihn ist aber klar: Es erfordere "größtmögliche Offenheit" für alle potenziellen Lösungen, um dem "tagtäglichen Verkehrskollaps im Großraum München" entgegensteuern zu können.

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