Mitten in  Karlsfeld:Vom Segen eines Stromausfalls

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Das Leben in einer großen Gemeinde ist heute oft anonym. Doch wenn am Computer nichts mehr geht, kommen sich die Menschen näher

Von Walter Gierlich

Es gilt ja geradezu als Zeichen des Individualismus unserer Zeit und der wachsenden Entfremdung der Menschen untereinander, dass man mit seinen Nachbarn immer weniger Kontakt hat. Anders als früher und noch heute in kleinen Dörfern ist es gerade in Städten oder städtisch geprägten Gemeinden wie dem 22 000-Einwohner-Ort Karlsfeld häufig so, dass man von den Menschen, die nebenan wohnen, nicht einmal die Namen kennt. Geschweige denn, dass man etwas über ihre Berufe, Hobbys oder ihre sonstigen Lebensgewohnheiten wüsste. Immer wieder liest man sogar von Fällen, in denen Verstorbene Monate oder gar Jahre lang in ihrer Wohnung liegen, ohne dass sie von den Nachbarn vermisst werden.

Und doch gibt es bisweilen Ereignisse, die dazu führen, dass Nachbarn, die normalerweise auf der Straße achtlos aneinander vorbeilaufen würden und sich kaum grüßen, selbst wenn sie sich über den Gartenzaun sehen, plötzlich Kontakt aufnehmen. Am Montagnachmittag war das in Karlsfeld der Fall, als plötzlich der Computer seinen Geist aufgab. Erste Reaktion: Jetzt ist die alte Kiste endgültig hinüber. Lassen sich die gespeicherten Daten, Dokumente und Fotos noch retten? Doch dann stellt sich heraus, dass der Kühlschrank auch nicht funktioniert. Kurzer Test am Lichtschalter: Nichts tut sich. Also ab in den Keller zum Sicherungskasten. Doch dort ist alles in Ordnung. Möglicherweise also ein Stromausfall in größerem Umfang?

Das ist der Moment, an dem man mit den kaum bekannten Bewohnern der Häuser nebenan ins Gespräch kommt. "Geht bei Ihnen auch nichts mehr?" Und schon erfährt man in ausführlichen Schilderungen, wie die Nachbarn den Blackout erlebt haben. Man hört so einiges aus deren Leben und kommt zu dem Schluss, dass solche Unterhaltungen mit seinen Mitmenschen vielleicht auch künftig ganz nett wären. Dann aber ohne, dass vorher die Stromversorgung zusammenbrechen muss.

© SZ vom 05.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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