Mitten in Erdweg:Wer glaubt schon an Märchen?

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Am Sonntag hat die Gemeinde Erdweg Gelegenheit, Geschichte zu schreiben. Eine bessere, als die Wähler des Bundestags

Von Viktoria Großmann

Alle werden sie kommen. Das Bayerische Fernsehen, das ZDF, der Spiegel, Reuters, Le Monde, der Guardian, die Novaya Gazeta, die Rzecpospolita und die Washington Post. Sie werden die Hauptstraße zuparken, sie werden im Wirtshaus Schweinsbraten mit Knödeln essen, sie werden das Glonntal fotografieren. Es wird am Ende keinen Einwohner mehr geben, der nicht irgendeinem Pressevertreter aus dem In- und Ausland ins Mikro gesprochen hat. Der 24. September, das wird der Tag sein, an dem Erdweg Weltgeschichte schreibt, an dem die 6070 Einwohner in die Schulbücher eingehen. Sie werden zum Vorbild werden, zu Hoffnungsträgern für ein ganzes Land. Sie werden Joseph Ndogmo zum Bürgermeister gewählt haben, einen Schwarzen, der in Kamerun geboren wurde. Den Barack Obama des Dachauer Landes. Statt einem "Bericht aus Berlin" wird nach der Tagesschau ein "Bericht aus Erdweg" laufen. In Hollywood stellt man bereits die Ohren auf. Für viele Deutsche, deren Laune an dem Abend mindestens so trüb ist wie das Wetter, wird dieser Herr Ndogmo ein Lichtblick sein. Die Erdweger werden eine bessere Geschichte geschrieben haben, als die Wähler der neuen Abgeordneten für den Bundestag.

Aber wer glaubt schon an Märchen? Der Bayerische Rundfunk nicht. Der ist noch schnell vor der Wahl nach Erdweg gefahren und hat einen Film über Joseph Ndogmo gedreht. Er wird an diesem Dienstag, 17. September, um 17.30 Uhr in der Abendschau laufen. Wenn Ndogmo es dann nicht geschafft haben wird, dann ist er ja nur der gewesen, der erster dunkelhäutiger Bürgermeister einer bayerischen Gemeinde hatte werden wollen. Wer wird dann noch von ihm sprechen, wenn er wieder nur für die Freie Wählergruppe Welshofen im Gemeinderat sitzt?

Um das nicht zu vergessen: Jeder der drei Kandidaten hat eine faire Chance verdient. Nein, ein schwarzer Bürgermeister ist nicht automatisch besser. Aber weltpolitisch und zugleich sportlich betrachtet: Wäre das nicht ein Ding? Wäre das nicht ein leuchtendes Zeichen aus Bayern nach Berlin an die Welt? Zu verlieren hat Erdweg nichts, die Gemeinde kann nur gewinnen. Es ist ihr historischer Moment. Zum Greifen nah.

© SZ vom 19.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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