Mitten in der S-Bahn:Das haut uns glatt vom Sitz

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"Sie, das ist mein Platz, dafür hab' ich einen Euro bezahlt." Und was passiert dann?

Kolumne von Michael Morosow

Die Bahn lässt wirklich nichts unversucht, um ihren Kunden das Reisen angenehm zu gestalten. Nun gut, die größten Plagen auf Schienen, die regelmäßigen Verspätungen und Zugausfälle, hat sie noch nicht so recht in den Griff bekommen. Dafür funktioniert inzwischen fast jede zweite Rolltreppe an Bahnhöfen, kann man bei Durchsagen mindestens jede dritte Silbe verstehen, und mit ein wenig Körpereinsatz schafft es so gut wie jeder, im Berufsverkehr sich noch irgendwie in einen Waggon hineinzuquetschen. Jetzt hat die Bahn ein neues Zuckerl aus ihrem Wohlfühlpaket gezogen: Die Betreiberin der Nürnberger S-Bahn, die DB Regio Bayern, bietet die Möglichkeit an, nummerierte Sitzplätze zu reservieren - für einen Euro pro Fahrt oder 40 Euro im Jahresabo. Wenn's gut geht, soll dieses Modell auf andere Städte übertragen werden.

Sollten die kreativen Köpfe der DB Regio dabei auch an München und sein Umland denken - nur zu, Bahn frei, traut euch! Wird schon gut gehen, haha. Auf jeden Fall wäre endlich was geboten zwischen den Sitzreihen, wo bislang zumeist Langeweile den Takt angibt. Wagen wir also einen Blick in die Zukunft und lassen vor unserem geistigen Auge einen Fahrgast, sagen wir abends am Ostbahnhof, für einen Euro den Sitz mit der Nummer 13 kaufen und damit in die verspätete und überfüllte S-Bahn nach Petershausen einsteigen. Lassen wir gleichzeitig einen, sagen wir übermüdeten, grantigen Lohnschlächter auf Sitz Nummer 13 einnicken. Lassen wir den Fahrgast sich vor dem Manne aufbauen, den Reservierungsschein zücken und sagen: "Sie, das ist mein Platz, dafür hab' ich einen Euro bezahlt." Wir sehen denselben Fahrgast wenige Sekunden danach, immer noch stehend, aber mit entgleisten Gesichtszügen. Vermutlich denkt er darüber nach, wann die Ein-Euro-Münze auf natürlichem Wege wieder seinen Leib verlässt.

Dass der ganze Waggon spannende Momente dieser Art zum Nulltarif bekommt, ehrt die Bahn. Oder anders ausgedrückt: Das haut uns förmlich vom Sitz.

© SZ vom 12.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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