Mitten in der Region:Und plötzlich fehlt die Salz-Dill-Gurke

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Veränderung kann schmerzlich sein. Vor allem wenn sie das Supermarktsortiment betrifft

Glosse von Peter Haacke

"O tempora, o mores!" - was für Zeiten, was für Sitten. Nein, keine Bange, gejammert wird jetzt nicht über Politik- und Umweltsünden, Klimawandel, Corona, Spritpreise oder das Wetter. Sondern über diesen Änderungswahnsinn, den wohl jeder kennt, der jemals Unternehmensberater im Haus hatte, den Update-Aufforderungen des Computer folgte oder Sohnemanns neue Freundin begrüßte. Doch es ist nun mal so: Alles ändert sich. Allerdings muss man dies nicht immer klaglos hinnehmen: Ein Freund des Hauses etwa statuierte unlängst ein Exempel am Supermarkt seines Vertrauens. Und das alles nur wegen ein paar Salz-Dill-Gurken.

Jahrelang hatte der Mann dort viel Geld gelassen, das Sortiment kannte er auswendig. Er duzte die Damen hinter der Fleischtheke und im Backshop, und die Laufwege mit dem Einkaufswagen waren derart optimiert, dass er quasi blind die Waren aus den Regalen hätte auswählen können. Doch dann passierte etwas, was zunächst Misstrauen, dann Missfallen erregte: Der Supermarkt wurde umgebaut. Handwerker tauschten die Deckenbeleuchtung, bauten Regale ab und neue wieder auf. Dort, wo bislang das Obst lagerte, war nun ein Brotstand. Das Müsli wanderte zwei Reihen vor, Zahnpasta, Duschgel und Deo nach hinten. Knabberzeug und Alkohol tauschten die Plätze, neu waren exotische Lebensmittel. Im Eingangsbereich stand - umringt von einer Horde Schoko-Nikoläuse - eine "To-go"-Abholbude, umdudelt von weihnachtlichen Klängen.

Das Schlimmste aber: Die Geschäftsführung hatte das Sortiment "bereinigt", wie es so schön heißt. Tatsächlich aber hatten sie einen Artikel gestrichen: Salz-Dill-Gurken. Ein deutsches Qualitäts-Markenprodukt in außergewöhnlicher Geschmackskomposition. Drei Stunden lang, beteuert der Mann, sei er verzweifelt auf der Suche nach den Gurken durchs Geschäft geirrt, bis ihm eine Verkäuferin mitleidsvoll erklärte: "Mein Herr, die gibt's nicht mehr." Damit nicht genug: Weil er keine Parkscheibe ins Auto gelegt hatte, gab es einen Strafzettel. Nun schwört der Mann: Niemals wieder werde er diesen Laden betreten. Der Vorfall erinnert ein wenig an einen weitaus tragischeren Fall, der sich vor Jahren in Schweden zugetragen haben soll: Da tauchte ein Mann mit langem Bart auf, der vier Jahre lang als verschollen galt. Angeblich hatte er sich in einem Möbelhaus verirrt. Was er dort gesucht hatte, ist unbekannt. Salz-Dill-Gurken dürften es aber wohl nicht gewesen sein.

© SZ vom 13.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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