Mitten in der Region:Sein und Schein in Vollendung

Der Auftritt muss stimmen, nicht nur mit 450 Pferdestärken

Kolumne von Peter Haacke

Das Auto ist bekanntlich der Deutschen liebstes Kind. Und deshalb sind im Großraum München immer mehr SUVs, Cabrios und übermotorisierte Sportwagen unterwegs. Manch Zeitgenosse hegt und pflegt sein Fahrzeug wie ein Baby. Manch Ehefrau soll sogar die Scheidung schon eingereicht haben, weil das Auto mehr Zuwendung und Zärtlichkeit erhält als sie selbst. Allerdings geht es dabei nur um Äußerliches. Entscheidender dürfte die "artgerechte Haltung" des Fahrzeugs sein, wie eingefleischte Automobilisten stets betonen. Und zum Sendungsbewusstsein dieser besonderen Spezies gehört nun mal der eindrucksvolle Auftritt, der sich in seiner Sinnlosigkeit an der Schickeria des Großstadtboulevards orientiert.

Unbedingt erforderliche Zutaten für einen gelungenen Auftritt sind: Ein leistungsstarkes Fahrzeug italienischer, deutscher oder amerikanischer Herkunft mit wenigstens 450 Pferdestärken, Reifen in der Breite eines Badelakens, eine absolut lässige Haltung hinterm Volant und ein reaktionsschneller rechter Fuß, der jederzeit zur Beschleunigungsorgie für einen Ampelsprint über 15 Meter bereit ist. Ja, selbst im Stau wird ordentlich Gas gegeben, um zu prüfen, ob der Klappenauspuff funktioniert. Die Folge: Ohrenbetörender Sound, einen Durchschnittsverbrauch von 25 Litern Benzin auf 10 Kilometer und genervte Passanten, die das ziemlich bescheuert finden. Über den Sinn dieses rabaukenhaften Auftritts nachzusinnen, macht wohl wenig Sinn. Ebenso wenig wird man pflichtbewussten Müttern beibringen können, dass Feuerwehranfahrtszonen keine Parkplätze sind, oder Rentnern, dass auch Radfahrer und Fußgänger zuweilen Vorfahrt genießen. Aber so ist das nun mal, wo Sein und Schein im automobilen Dasein ihre wahre Vollendung finden.

© SZ vom 08.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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