Mitten in der Region:Ganz normale Wunderkinder

Warum es schön ist, wenn die klugen Kleinen doch nicht alles wissen

Von REGINA BLUHME

Schon faszinierend, wie sich bereits ganz junge Menschen für Musik begeistern können. So wie das Nachbarskind, das mit seinen vier Jahren mit voller Hingabe auf der Geige spielt - stundenlang, auch in den Ferien und immer bei geöffnetem Fenster. Ja, es gibt sie wirklich diese Wunderkinder, und sie werden scheinbar immer mehr, wie Wettbewerbe oder Schulkonzerte belegen. Mittlerweile trifft man diese Kinder auch im Publikum von klassischen Konzerten. So wie neulich in einer Open-Air-Aufführung der "Carmina Burana", Beginn 20.30 Uhr. Auf den Nebensitzen nimmt ein fünf- bis sechsjähriger Bub mit seiner Oma Platz. Das Konzert beginnt. Nicht ein einziges Mal an dem Abend fällt dem Knirps das Programm aus den Händen, nie stößt er aus Versehen die Apfelschorle zu seinen Füßen um. Kerzengerade und aufmerksam verfolgt er das Geschehen. Allmählich macht man sich doch ein wenig Sorgen um ihn. Er wirkt wie ein kleiner Erwachsener. Ist da nicht eine normale kindliche Entwicklung gefährdet?

Die Befürchtungen scheinen sich zu bestätigen, als einer der Sänger mit seinem Solo beginnt. "Gell, Oma, das ist lateinisch", sagt der Knirps. Oma lächelt stolz und nickt. Ein paar Minuten später: "Gell, Oma, Amor heißt Liebe". Oma nickt mit verklärtem Blick. Jetzt gibt der Sänger auf der Bühne alles. Das ganze Repertoire: hohe Töne, tiefe Töne, er hat es wirklich drauf. "Gell, Oma, der Mann ist im Stimmbruch." Oma kommentiert das jetzt lieber nicht, aber man selbst lehnt sich beruhigt zurück.

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken
OK