Mitten in der Krise:Wer schon hat, der hat's jetzt besser

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Erleben wir gerade eine Revolution der Statussymbole?

Kolumne von Johanna Hintermeier

Ist Haben besser als Brauchen? Zu Beginn der Pandemie, also "damals", haben alle Klopapier und Mirácoli gehortet, sie in ihre Vorratsschränke gepfercht und sich dann die Hände mit Desinfektionsmittel eingekleistert, man hatte schließlich zwei Liter - nur aus Vorsorge - ergattern können. Die Produkte aus Zellstoff, kapitalintensiv in der Herstellung, und Fertignudeln, über deren Bestandteile wollen wir schweigen, das waren die neuen "Must-haves" der Konsumenten. Das zu haben, worauf es ankommt, war deutlich schwieriger zu bekommen: Nein, man kann nicht einfach in den Supermarkt gehen und Pesto shoppen. Gewitzt musste man sein, eine Frühaufsteherin, welche die Lieferzeiten studiert hat, jemand mit Beziehungen zum Ladenpersonal - das musste man sein. Entwickelt sich also gesellschaftlich gerade eine neue Vorstellung davon, was man wirklich besitzen muss? War dies vor Corona doch die kleine Villa in Haimhausen, das Riesentrampolin für den Nachwuchs, das Cabrio für die Spritztour zum Ammersee oder die Apple Watch, zu Deutsch Apfel-Uhr - es galt: Ich kaufe, also bin ich.

Zwar ist die Tugend des Verzichts nun nicht wirklich voll erblüht, konsumieren wir doch einfach mehr Billignudeln und erschreckend viel mehr Wein. Es schien jedoch einen Wimpernschlag lang, als brauchte es nicht mehr Aktiendepots, um zu den Gewinnern der Gesellschaft zu gehören, als wären die Deutschen kollektiv zur Einsicht gelangt: Das Virus macht keinen Unterschied zwischen Arm und Reich. Dadurch entfiel, psychologisch betrachtet, ein unerlässlicher Aspekt der Besitzlust: Das Protzen in der Öffentlichkeit, das ja vielleicht der Sinn des Besitzes überhaupt ist. Zwar kann man den Hausrat an teuren Tourenski, Kristallvasen und Van-Gogh-Gemälden versuchen, geschickt hinter sich im Bild der Videokonferenz im Home-Office zu drapieren. Doch was bringt das, wenn heutzutage einzig der Schutzstoff um aller Munde soziale Anerkennung erfährt? Soziologen und Psychologen sind sich einig, dass Besitzen Teil der sozialen Identität ist und notwendig, um bestimmte moralische Verhaltensweisen zu erproben. Wenn nun das Tragen eines Stückes Stoffs reicht, um von den Menschen im Supermarkt als wertvolles Mitglied der Gemeinschaft respektiert zu werden, dann stellt sich die Frage: Erleben wir eine Revolution der Statussymbole?

Das traurige Ende vom Lied - nein. Das Virus und die politischen Maßnahmen dagegen treffen Menschen in sozial prekären Situationen härter. Wer im Lockdown ein Zuhause, einen Balkon, einen eigenen Garten hat, in dem die Kinder spielen können - der gewinnt. Wer überhaupt im Home-Office arbeiten kann, ist sicherer als all die Menschen, die Klopapier über das Kassierband ziehen. Und nur, wer digitale Endgeräte für die Kinder im Homeschooling hat, kann diese einigermaßen weiterbilden und sich selbst vor Nervenzusammenbrüchen verschonen. In der Corona-Krise zeigt sich: Wer schon hatte, der hat's jetzt einfacher.

© SZ vom 30.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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