Oasen der Langeweile, Momente des Stillstands sind rar geworden. So rar, dass Menschen sogar verzweifelt nach ihnen suchen. Man denke an die "Slow-Food-Bewegung". Oder an die gestressten Jungunternehmer, die für viel Geld Tage in einem Kloster verbringen, nur um dem ständigen Handyklingeln zu entkommen. Man muss sich das mal vorstellen: Es gibt Menschen, die Geld dafür bezahlen, sich zu langweilen. Dabei gibt es mitten in Dachau eine Insel der Entschleunigung. Und das absolut ohne Gebühr, sie kostet nur Zeit und mitunter Nerven.
Die Fußgängerampel am Fuße des Karlsbergs verschenkt Zeit. Jedem Fußgänger verspricht die gelbe Box 53 Sekunden lang rotblinkend, dass das "Signal kommt", Zeit, in der die Wartenden kurz innehalten könnten. Stattdessen: Ungeduld, Ärger und zunehmende Wut auf diese unverschämte Box. Wut auf die Autos, Wut auf die Straßenverkehrsordnung, Wut auf das kleine Kind, dem man schließlich ein Vorbild sein muss, Wut aufs Weckerklingeln, Wut auf den Morgen, Wut auf die Farbe Rot, Wut auf die Zähigkeit der Zeit. Wut auf die ganze Sinnlosigkeit des Seins. Kein Gedanke an den Wert der Langeweile. Nur Ärger, dem man höchstens mit Ablenkung entkommen kann.
Mit einem Eis zum Beispiel. Gut, dass es direkt an der Kreuzung eine Eisdiele gibt. Wer weiß, wie viele Kugeln Erdbeereis nur deswegen verkauft werden, weil eine genervte Mutter dem Drängen ihres Kindes nachgibt. Schlicht, weil das Kind dann ruhig ist und die Ampel danach hoffentlich grün. Vielleicht gehört die Ampel zum Konzept der Eisdiele, ausgedacht von einem gestressten Jungunternehmer im Klosterurlaub. Wenn das so ist, müssten alle Dachauer Wutfußgänger dagegen vorgehen: Demos, Boykott. Wobei: Kein Eis ist ja auch keine Lösung.