Mitten in Dachau:Untenrum frei

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Schwarz-weiß und nicht sehr männlich: Die Kausch-Statue mit BH. (Foto: Toni Heigl)

Anstößige Aktdarstellung waren auch in geraumer Vorzeit nicht immer gern gesehen und hatten teils schwerwiegende Folgen. Der männliche Aktskulptur aus Bronze an der Ludwig-Thoma-Wiese blieb die Kastration zwar erspart, doch nun trägt sie einen nicht sehr männlich wirkenden Büstenhalter

Kolumne von Gregor Schiegl

Um den iranischen Präsidenten Ruhani nicht zu brüskieren, wurden auf dem Kapitol in Rom 2016 mehrere nackte Statuen verhüllt. Damit wollten die Gastgeber Rücksicht auf den Glauben des Muslims nehmen. Von mancher Seite wurde das als Unterwerfung gegeißelt und mit der berühmten Sentenz garniert, wonach man sich in Rom gefälligst so zu verhalten habe wie die Römer. Dem steht allerdings entgegen, dass sehr römische Herrschaften wie Papst Pius V. nicht davor zurückschreckten, anstößige Stellen in Aktdarstellungen von Michelangelo einfach übermalen zu lassen. Die Fama raunt sogar, dass es im Vatikan eine Schublade voller Penisse gebe, die ein wütender Papst wehrlosen Marmorskulpturen abgeschlagen haben soll.

In der Grünanlage an der Thoma-Wiese steht eine männliche Aktskulptur aus Bronze von Jörg Kausch, die in den vergangenen Jahren schon des öfteren kleinere Anschläge über sich hat ergehen lassen müssen. Eine Kastration blieb ihr zwar erspart, doch seit einigen Tagen trägt sie einen schwarz-weißen, nicht sehr männlich wirkenden Büstenhalter. In das Muster einer schamhaft-katholisch-islamisch oder feministisch motivierten Verhüllung passt das neue Accessoire allerdings nicht. Der BH macht erst richtig augenfällig, dass der stilisierten Figur die Hose abgeht, und zum ersten Mal kommt man ins Grübeln, ob Ludwig Thoma nicht nur launiger Schriftsteller und schlimmer Antisemit war, sondern auch noch ein Aktivist der Freikörperkultur.

Wer sich kundig macht, erfährt allerdings, dass die Skulptur mitnichten Thoma darstellt. Ihr Name "Der Stern" verweist vielmehr auf die gleichnamige Tarotkarte. Diese steht für Hoffnung, Weisheit und Einblick in höhere Zusammenhänge. Wie ein BH da hineinpasst, mag sich der Weise selbst zusammenreimen.

© SZ vom 24.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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