Mitten in Dachau:So schön kann Empörung sein

Lesezeit: 1 min

Löste eine aufgeregte Debatte aus: Christian Engelmanns 40 Meter lange Skisprungschanze mit dem Titel "Haltungsnote" am Dachauer Rathausberg. (Foto: Toni Heigl)

Die Sprungschanze des Künstlers Christian Engelmann, die derzeit am Alstadtberg entsteht, wird in sozialen Netzwerken heftig diskutiert. Doch mit Kunstkritik hat das nichts zu tun.

Kolumne von Gregor Schiegl

Die Freiluftausstellung "Raus" zum 100-jährigen Bestehen der Künstlervereinigung Dachau wird erst in zwei Wochen eröffnet, doch schon jetzt genießt das Vorhaben große öffentliche Aufmerksamkeit. Das ist vor allem Christian Engelmanns Großskulptur zu verdanken, die weithin sichtbar mitten im Dachauer Stadtgebiet entsteht: Eine Sprungschanze aus Holz, 40 Meter lang, die die unruhige Topografie des Altstadtbergs aufnimmt. Engelmann ist ein Künstler, der die Leute gerne erst zum Lachen, dann zum Nachdenken bringt. Vielleicht haben die Dachauer nicht so viel Humor, wie Engelmann denkt: In den sozialen Netzwerken wird das Projekt heftig diskutiert und das mit einem verstörenden Furor.

An sich wäre das nicht schlimm. Kunst ist keine Konsensveranstaltung, ihr Wert für den öffentlichen Diskurs besteht oft genau darin, dass sie zu Widerspruch und Kritik herausfordert, dass man sich an ihr reiben kann. Engelmanns Schanze böte dafür eigentlich eine Steilvorlage. Doch die Reaktionen haben mit dem Gegenstand nichts zu tun, es gibt so gut wie keine Kunstkritik. Stattdessen Häme und Hass, die zeitgeistgerecht in ein ökologisches Klägergewand gekleidet werden: Die Schneise in den wildwuchernden Essigbäumen am Rathausberg wird als Rodung skandalisiert, als hätte Engelmann einen Teil des Amazonas abgeholzt, auch der Verlust wertvollen Lebensraums für Tiere (welche auch immer) wird heftigst beklagt. Das Schlimmste aber: Engelmann wagt es, Holz zu verbauen. Holz von echten Bäumen!!!

Die Debatte wirft ein erschreckendes Schlaglicht darauf, wie die Diskussionskultur erodiert, wie gerade in den sozialen Medien Argumente nur mehr als Zündkapseln in Empörungsmechanismen eingesetzt werden, wie Kritik nichts mehr mit Stellung beziehen zu tun hat, sondern nur noch mit der Affirmation der eigenen moralischen Überlegenheit. Der Titel der Skulptur lautet übrigens "Haltungsnote". Darüber könnte man auch mal nachdenken.

© SZ vom 24.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: