Mitten in Dachau:Mit aller Härte bürgernah

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Die Anträge der Freien Wähler Dachau sind in den Verwaltungen so beliebt wie Zahnschmerzen. Mit dem neuesten schießen die Lokalpolitiker übers Ziel hinaus. Er richtet sich gegen die Ärmsten der Armen

Von Helmut Zeller

Die Freien Wähler Dachau sind immens rührig. Die Gruppierung stellt drei Kreis- und drei Stadträte und kämpft für kurze Wartezeiten etwa in der Kfz-Zulassung oder die Einführung einer Warn-App für das Dachauer Volksfest - für alles eben, was dem Bürger am Herzen liegt. Die Vielzahl der Anträge, die allein Kreisrat Sebastian Leiß hinausjagt, lässt die Verwaltung im Landratsamt schon mal aufbrüllen; zumal es sich, sagen die Kritiker, meistens um reine Schaufensteranträge handelt - aber immer nah am Bürger.

Fast immer. 2014 wurden der Stadtratsfraktionssprecher Edgar Forster und sechs Mitstreiter aus dem Kreisverband der Freien Wähler ausgeschlossen. Das lag daran, dass Forster in der Kommunalwahl mit der CSU paktierte - und dafür mit einem der stellvertretenden Landratsposten belohnt wurde. Als das geklärt war, besann sich die Gruppierung wieder auf ihr erklärtes Ziel: Bürgernähe. Zum Beispiel: Der Sirenenprobealarm, der nur dank der FW Dachau nach Jahren des Schweigens erstmals wieder am 19. April in Dachau heulte. "Die Sensibilisierung der Bevölkerung für Katastrophenschutzeinrichtungen ist sehr wichtig", erklärte Kreisrat Leiß. Wie viele sensibilisiert wurden, ist nicht bekannt. Ein gehöriger Schrecken aber wurde manchem eingejagt.

Jetzt schlagen die Bürger-Anwälte wieder zu - diesmal gegen die Bettler in der Stadt: "Wir müssen frühzeitig mit aller Härte der Ausbreitung dieser Form des Bettelns entgegentreten, bevor dieses Problem außer Kontrolle gerät", wird erklärt. Aber gleich mit aller Härte? In Dachau? Die FW lässt offen, wozu der Antrag für ein allgemeines Bettelverbot den Bürger diesmal sensibilisieren soll. Aber er offenbart etwas anderes: ein gewisses Maß an Unwissenheit. Erstens ist das organisierte Betteln seit Jahren schon gang und gäbe - auch in Dachau; die Polizei sieht bislang kein großes Problem darin, aber die FW wollen Dachauer entdeckt haben, die aggressives Betteln erlebt haben wollen. Aber es kommt noch härter: "Im Fokus soll dabei auch stehen, die Menschen zu schützen, die zum Betteln gezwungen werden." Wie wollen die FW das denn machen? Die Bettler sind Roma aus der Slowakei oder Rumänien, die in ihren Heimatländern ausgegrenzt und verfolgt werden. Von jedem erbettelten Euro bleiben ihnen vielleicht 20 Cent - immerhin Geld für Menschen, die rein gar nichts haben. Deshalb werden sie nicht gegen die Hintermänner der Bettlerringe aufbegehren oder einfach abziehen. Wird Kreisrat Leiß ihnen Arbeit besorgen? Mit aller Härte? Will Edgar Forster die Hintermänner - mit aller Härte natürlich - persönlich stellen? Aber nein. Man will einfach Bürgernähe auf dem Rücken der ärmsten EU-Bürger beweisen - auch wenn man dazu ein Problem erst herbeireden muss. Die FW Dachau haben noch ein bürgernahes Ziel: Beim nächsten Probealarm im Herbst sollen noch mehr Sirenen heulen, teilen sie mit. Das wird hart.

© SZ vom 11.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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