Mitten in Dachau:Mehr Stadt, weniger Land

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Während Bauern mit ihren Traktoren gegen urbane Besserwisser kämpfen, beklagen Politiker aus Dachau, dass sie auf den Listen unterrepräsentiert sind

Kolumne von Walter Gierlich

Schlägt man die Zeitung auf, kann man fast jeden Tag apokalyptische Analysen lesen, wie tief gespalten die Gesellschaft etwa in den USA ist: auf der einen Seite fanatische Anhänger des amtierenden Präsidenten Trump, auf der anderen Seite dessen erbitterte Gegner. Genauso deutlich klafft der Graben zwischen zwei nahezu gleich großen Bevölkerungsgruppen in Großbritannien: Die eine bejubelt den nunmehr endlich vollzogenen Brexit, die anderen bedauert zutiefst den Austritt der Insel aus der Europäischen Union.

Doch solche Risse mitten durchs Volk sind keineswegs allein in der angelsächsischen Welt zu finden. Auch in Deutschland sind solche Antagonismen längst an der Tagesordnung: Demokraten gegen Rechtsradikale, Klimaschützer gegen Leugner des Klimawandels oder Radler gegen Autofahrer. Und seit einigen Monaten machen Bauern immer wieder in gewaltigen Traktordemonstrationen ihrem Unmut über eine angeblich verfehlte Agrarpolitik Luft und stellen dabei die Städter, die von Landwirtschaft angeblich keine Ahnung haben, als Mitschuldige dar. Land im Konflikt gegen Stadt also.

Nun lag kürzlich im Briefkasten ein Wahlprospekt, der genau dieses Problem thematisiert, nur dass der Spieß umgedreht ist: Stadt gegen Land, und zwar innerparteilich und auf Kreisebene. Nein, nicht von den als Vertreter der urbanen Mittelschicht geltenden Grünen oder der Großstadtpartei SPD stammt der Flyer, sondern von der CSU, die sich sonst gerne zum Schutzpatron des ländlichen Raums ausruft. Die Christsozialen aus Dachau und Karlsfeld, den beiden städtischen Kommunen des Landkreises mit fast der Hälfte von dessen Einwohnern, fühlen sich in ihrer Kreistagsfraktion unterrepräsentiert, weil von Vertretern des Hinterlands dominiert wird. Gerade drei von 26 CSU-Kreisräten kommen aus der Großen Kreisstadt und ihrer Nachbargemeinde. Damit der urbane Raum des Landkreises in den nächsten sechs Jahren innerhalb ihrer Partei im Kreistag nicht wieder untergebuttert wird, rufen die Dachauer und Karlsfelder Kandidaten die Wähler ihrer Kommunen auf, ihnen jeweils drei Stimmen zu geben. Klingt nach Kampfansage an die Parteifreunde aus den Dörfern. Ob's viel hilft ist allerdings fraglich: Obwohl sie beinahe die Hälfte der Einwohner stellen, haben die Städter mit 14 Bewerbern gerade ein Fünftel auf der 70-köpfigen CSU-Liste.

© SZ vom 21.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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