Mitten in Dachau:Mehr Platz für die Anarchie

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Das Ordnungsamt greift durch: Mit dem illegalen Parken in der Münchnerstraße ist es vorbei

Von Viktoria Großmann

Es ist ja auch wirklich alles reguliert in dieser Stadt. Rennt man einmal an der Frühlingstraße bei Rot über die Ampel mit der vollkommen lächerlich kurzen Grünphase, kommt garantiert in diesem Moment eine Polizeistreife vorbei. Steht man 94 statt 90 Minuten in der Kurzparkzone - zack! - Strafzettel. Will man herzhaft im Citybus in eine Leberkässemmel beißen, verdirbt einem ein Verbotsschild den Appetit, nicht mal mit dem Handy spielen darf man im Bus. Menno.

Einen Ort aber hat es in Dachau noch gegeben, der nicht nur nicht überreguliert, sondern überhaupt nicht reguliert war. An dem man tun konnte, was man wollte und das sozusagen unter den Augen der Öffentlichkeit und ihrer lebenden Kontrollmechanismen, der Politessen. Am hellerlichten Tag konnte man in der Münchnerstraße mitten auf dem Bürgersteig parken ohne Ende ohne jemals einen Strafzettel unter den Scheibenwischer geklemmt zu bekommen. Es war die große Dachauer Freiheit, die Anarchie vorm Lampenladen.

Vorbei. Das Ordnungsamt, dessen Mitarbeiter aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen, bisher diese vier vollkommen illegalen Stellplätze ignoriert hat, greift seit vergangener Woche durch. Angewiesen von den Stadträten. Denn wer ist schuld? Natürlich, die Politiker. Namentlich jene von der ÜB, die der Meinung waren, die Welt oder wenigstens Dachau würde ein besserer Ort, wenn aus vier illegalen vier legale Parkplätze gemacht würden. Das wiederum warf bei Stadtverwaltung und Verkehrsausschuss die Frage auf, wem um alles in der Welt der Streifen Grundstück eigentlich gehört. Muss die Stadt das kaufen, tauschen oder besitzt sie es schon? Was kostet das alles und soll dort nicht sowieso der Stellplatz weg und eine Fußgängerampel hin? Nun, so kam es, dass im schwierigen Entscheidungsdurcheinander, im Strudel der Unordnung der nächstbeste ordnende Strohhalm ergriffen wurde. Es war der Strafzettel.

Nein, die Welt wird dadurch kein besserer Ort. Kein Mensch braucht das Gefühl moralischer Überlegenheit beim Parken. Der Mensch braucht Fluchten. Er braucht in seinem Alltag aus korrekt gelösten Nahverkehrstickets, regelmäßig gezahlten Hypothekenraten und fristgerechten Steuererklärungen das kleine Abenteuer, das ungefährliche Vergnügen am Falschverhalten. Der heimlich unter den Sitzungstisch geklebte Kaugummi, die beim Finanzamt - aus Versehen - doppelt eingereichte Arztrechnung, das Parken auf dem Bürgersteig. Nur so überlebt man den durchregulierten Alltag. Menschen brauchen nicht nur Platz zum Parken, sie brauchen auch Platz für Anarchie.

© SZ vom 14.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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