Mitten in Dachau:Liebe macht geschichtsblind

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Die Städtepartnerschaft zwischen Dachau und Oswiecim beginnt vielversprechend. Aber vielleicht nur, weil im Feuer der ersten Liebe die Schwächen des anderen noch nicht gesehen wurden. Was aber, wenn plötzlich die Augen aufgehen?

Von Helmut Zeller

Grundsätzlich sind Partnerschaften zwischen Städten schön - sie erweitern den Horizont und dienen der Völkerverständigung, sofern sie nicht, wie das zwischen Menschen häufig der Fall ist, in Überdruss, Gleichgültigkeit oder gar Streit enden. Im Grunde läuft es zwischen Kommunen auch so. Am Anfang blüht Begeisterung. Man versichert sich in extremen Superlativen der gegenseitigen Zuneigung und Bewunderung: "You are wonderful", hauchte der polnische Landrat Zbigniew Starzec seinem Dachauer Kollegen Stefan Löwl (CSU) ins Ohr. Nicht das etwa, was Sie jetzt denken . . . Der Landrat des Kreises Oświęcim gehört der "Prawo i Sprawiedliwość" an, einer ziemlich nationalistischen, manche sagen sogar rechtspopulistischen Partei, die schon mal die Einführung der Todesstrafe forderte und Homosexualität verurteilt.

Die Begeisterung der beiden Kommunalpolitiker füreinander hat sich auf den Kreistag übertragen, bei dem Starzec jetzt zu Gast war. Tourismus, Sport, Kultur, Wirtschaft: "Wir arbeiten zusammen", was den Chef des eher nicht so reichen Kreises Oświęcim natürlich sehr freute. Im August kommt jetzt erst einmal eine polnische Delegation zum Volksfest - bei süffigem Bier und knusprigem Hendl mag das eine oder andere zärtliche Wort über den Tisch schweben. Hoffentlich erschöpft sich die Partnerschaft nicht - wie bei weniger glücklichen kommunalen Liaisons - mit einem alljährlichen Besuch und Gegenbesuch. Aber der Kern dieses Bundes ist ein anderer: Schon bei seiner Polenreise im Januar zur Gedenkstätte Auschwitz hatte Landrat Löwl von der "gemeinsamen Erinnerung und Verantwortung" beider Länder gesprochen. Starzec pflichtete ihm bei - und irgendwie ging dieses doch überraschende Statement, wohl in der zunehmenden Geschichtsblindheit, unter.

Vielleicht kommt der polnische Landrat noch darauf, dass es doch ein bisschen vermessen ist, das einstige Opferland Polen in der Forderung nach einer gemeinsamen Erinnerungspolitik mit dem einstigen Täterland Deutschland gleichzusetzen. Mancher Bund fürs Leben zerbrach daran, dass die Liebenden den jeweils anderen und seine Vergangenheit blind verherrlichten - bis einem die Augen aufgingen.

© SZ vom 27.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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