Mitten in Dachau:Kunst und Leiden

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Chorgemeinschaft und Kirchenchor von Sankt Jakob müssen in der sommerlichen Hitze bei geschlossenen Fenstern proben. Anwohner fühlen sich durch die Musik gestört

Von Wolfgang Eitler

Der Süddeutschen Zeitung ist ein Schreiben zugespielt worden, in dem ein nicht namentlich genannter Autor sich an den Kirchenchor von Sankt Jakob und an die Chorgemeinschaft Dachau mit der inständig vorgetragenen Bitte um Verständnis dafür wendet, die Proben ausschließlich in fest geschlossenen Räumen zu abzuhalten. Wie die SZ recherchierte, hat das Schreiben die Vertreter der beiden Chöre bisher nicht erreicht. Weil der Entwurf ein tatsächlich ernstes und drängendes Problem in der Altstadt abhandelt, halten wir eine Veröffentlichung für unumgänglich:

"Liebe Musikfreunde,

Wir, die wir die Bibel kennen, wissen um die Bedeutung des Gesangs. Schon im Psalm 137 "An den Flüssen Babylons" des Alten Testaments wird von levitischen Sängern berichtet, die im Dienste ihrer Eroberer singen müssen. Und in den Synagogen fanden sich die Menschen teilweise zu spontanen Gesängen zusammen. Wir wissen auch, dass das Singen "die Sprache des Glaubens" ist. In den Epheserbriefen schreibt Paulus: "Lasst in Eurer Mitte Psalmen, Hymnen und Lieder erklingen." Wir können vorbehaltlos anerkennen, dass Ihnen allen dieser Auftrag hervorragend gelingt. Was wären die Gottesdienste ohne sie? Was Dachau ohne die Konzerte und Aufführungen wie Hadyns Schöpfung?

Verständlicherweise müssen Sie üben, wovon sich Mitmenschen im Umfeld unseres Pfarrheims von Sankt Jakob empfindlich gestört fühlen. Nun ist bei uns das Wetter - Gottseidank - öfter schlecht als gut. Außerdem sind die Fenster relativ schalldicht. Deshalb dringt Ihr Gesang selten nach außen. In den letzten heißen Sommertagen indes schon.

Nun wissen wir alle, wie sehr das Leben der Menschen in der Stadt unter dem nächtlichen Lärm und den Verhaltensweisen von Gästen der einschlägig bekannten nur als Kneipen zu titulierenden Etablissements beeinträchtigt wird. Nicht nur durch Lärm, sondern auch durch Sonstiges, das auszuführen sich aus Gründen des Anstands nicht gehört.

Selbstverständlich würdigen wir das Engagement der Sängerinnen und Sänger wie Elisabeth Peren, die den Anwohnern während der Probezeiten bis maximal 21.30 Uhr einen sommerlichen Abendspaziergang oder einen Biergartenbesucht empfiehlt. Und auch ihr Appell ist nachzuvollziehen, dass Sänger beim Üben frische Luft brauchen.

Trotzdem hat sich die Pfarrei entschlossen, Sie alle zu bitten, die Fenster geschlossen zu halten und die Hitze tapfer zu ertragen. Gestatten Sie mir die sanft ironische Bemerkung, dass Kunst auch von Leiden kommt. In der Hoffnung auf großartige Konzerte, Ihr . . ."

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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