Mitten in Dachau:Gnadenakt der Deutschen Bahn

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Die Bahn, das weiß man ja, ist sehr konsequent, wenn es um Verspätungen oder ihre harte Hand bei Kontrollen geht

Kolumne von Benjamin Emonts

Eine Reise mit der Deutschen Bahn ist doch immer wieder ein Abenteuer, sofern sie denn irgendwann losgeht. Personen im Gleis. Stellwerksstörung. Oberleitungsschaden. Signalstörung. Notarzteinsatz. Rückstau am Gleis. Vereiste Gleise. Defekte Weiche. Feueralarm am Münchner Hauptbahnhof. Was man nicht alles erlebt und vor allem wie oft. Ein Leben ohne Deutsche Bahn und Münchner Verkehrsverbund (MVV) wäre doch irgendwie fad.

Wobei sich natürlich die Frage stellt, was man von so einer Heimfahrt von Dachau nach München erwartet, wenn der Arbeitstag ohnehin schon Aufregung genug war. Vielleicht möchte man ja, jugendlich formuliert, einfach mal chillen. In diesem Fall sei allen Fahrgästen geraten, niemals, wirklich niemals seine MVV-Monatskarte versehentlich mit der Jeans mit zu waschen. Dem Schaffner in der Regionalbahn von Dachau zum Münchner Hauptbahnhof war es aus fünf Metern Entfernung schon anzusehen, dass er das nicht so toll finden würde. MVV, Abo, Isar-Card, Gesamtnetz: Manches ist er sogar noch zu entziffern bereit auf der zugegebenermaßen etwas verwaschenen Monatskarte. Seine abschließenden Worte aber bereiten einfach nur Schmerzen: "Tut mir leid. Ich kann nicht erkennen, ob Ihr Ticket für November oder Dezember ist. Ich muss Sie jetzt leider um Ihren Ausweis bitten." Dass selbst der Banknachbar nun das Wort ergreift und beteuert, er lese eindeutig Dezember, hilft da natürlich nichts. Minutenlanges Zureden ist völlig umsonst, als würde man mit einer Bahnschranke sprechen. Die Bahn, das weiß man ja, ist sehr konsequent, wenn es um Verspätungen oder ihre harte Hand bei Kontrollen geht. Auf der Papierrolle, die der Schaffner aus seinem Handcomputer ausdruckt, stellt der Konzern schließlich eine Forderung über 60 Euro. Der Fahrgast hatte ja keine gültige Karte, obwohl er zu Monatsanfang immer brav sein Geld überweist.

Nun sei dem MVV-Kunden allerdings auch geraten, sich nicht immer alles gefallen zu lassen. Ein freundlicher Mann im MVV-Kundenservice-Center am Hauptbahnhof gibt sich eine Viertelstunde später weitaus gesprächsbereiter. Nach anfänglichem Abblocken wirkt der Mann fast so, als hätte er so etwas wie Verständnis oder gar Mitgefühl. "Mit viel Fantasie kann man hier Dezember auf der Karte erkennen", spricht er einer Frau vom MVV-Aboservice in Landshut ins Telefon. Der Fahrgast bekommt nun tatsächlich eine heile Fahrkarte nach Hause geschickt. Für den Vorfall in der Regionalbahn muss er läppische sieben Euro sofort auf den Tisch legen. "Kulanz vor Recht", sagt der Bahn-Mitarbeiter dazu. Wie gnädig.

© SZ vom 07.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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