Mitten in Dachau:Die wahren Weihnachtsgefühle

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Überall Kitsch und Kommerz. Aber einen Ort in Dachau gibt es noch, wo einem in dieser Zeit das Herz aufgeht

Kolumne von Anna-Elisa Jakob

Alle Jahre wieder! Ein Ausspruch, der im Dezember noch häufiger zu hören sein wird - und doch betitelt keiner den Beginn der Adventszeit auf treffendere Weise. Allerorts lassen sich altbekannte Szenarien entdecken. So sind die Straßen der Stadt mittlerweile wieder strahlend hell ausgeleuchtet, Bäume und Laternen funkeln um die Wette und weisen den Heimweg für all diejenigen, die am kommenden Freitag den ersten Glühwein oder Punsch auf dem Dachauer Christkindlmarkt probieren. Alles beim Alten, alle Jahre wieder.

Neben besinnlicher Beleuchtung und Bewirtung kehrt auch der Einkaufstrubel zurück: Die Läden der Stadt locken mit Leuchtreklamen und Angeboten zur Weihnachtszeit - vor einer Reise nach München hüten sich an diesen Tagen alle Einheimischen, hier wird die Innenstadt in der Adventszeit zur Tabuzone. Menschenmassen pilgern von einem Laden zum nächsten, die Augen von Kindern und Erwachsenen werden dabei immer größer. Der amerikanische Ökonom Joel Waldfogel nannte Weihnachten eine "Orgie des Wertverlusts" - egal, ob moralisch oder wirtschaftlich interpretiert: Wer in der Stadt zur Adventszeit von wandelnden Bergen an Einkaufstüten umzingelt wird, gibt ihm in der Verzweiflung schnell Recht. Wer allerdings durch die - selbstverständlich genauso strahlend hell ausgeleuchtete - Münchner Straße schlendert, entdeckt einen weihnachtlich geschmückten Tannenbaum der besonderen Art, den Wunschbaum, aufgestellt vor der Candisserie. Hier hängen kleine Wunschzettel von Bedürftigen aus der Region, die Dachauer Bürger erfüllen und als Päckchen dort wieder abgeben können. So zum Beispiel ein neuer Pullover, eine wärmende Winterjacke oder ein paar selbstgebackene Plätzchen. Eine ältere Dame wünscht sich einen Plüschhund zum Kuscheln, da sie ihren eigenen im Tierheim zurücklassen musste. Einem Jungen fehlt ein Paar Boxhandschuhe, um erfolgreich am Training teilnehmen zu können. Mehr als 500 Wünsche wurden in diesem Jahr bereits zusammengetragen. Und auch hier werden die Augen von Jung und Alt größer, allerdings aus einem anderen Grund: Denn meist sind es simple Kleinigkeiten, mit denen Menschen aus der Umgebung eine große Freude bereitet werden kann.

So zeichnet ausgerechnet die Münchner Straße, gerne als "Die Einkaufsmeile Dachaus" bezeichnet, ein Symbol gegen unbedachten Konsum unter Leuchtreklamen und für bedachtes, herzliches Schenken. Wer einen Zettel zieht, ein Päckchen packt und abgibt, wird mit einem veränderten, warmen Gefühl durch die strahlend helle Münchner Straße laufen. Mit dem wahren Weihnachtsgefühl, das alle Jahre wieder kommt - hoffentlich.

© SZ vom 30.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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