Mitten in Dachau:Die Verlockung des Verbotenen

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Warum ein 85-Jähriger in einen fremden Garten einsteigt, Äpfel klaut - und vom Amtsgericht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wird

Von Benjamin Emonts

Dass Äpfel eine große Verlockung sind, wissen wir nicht erst seit Schneewittchen, die am vergifteten Apfel der bösen Königin beinahe gestorben wäre, dank eines tollen Prinzen aber überlebte. Auch bereits Adam, das vermuten viele, aß an einem Apfel, als er nackt durchs Paradies schlenderte. Gott hatte Eva und ihm noch geraten, besser nicht von der verbotenen Frucht zu naschen. Doch Eva hörte lieber auf eine Schlange und gab Adam zu essen vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Die beiden Unbelehrbaren mussten den Garten Eden deshalb verlassen. Seither gilt das Essen der verbotenen Frucht als Abkehr von Gottes Geboten.

Vor diesem Hintergrund mag der Fall eines 85-jährigen Dachauers vor Gericht nicht sonderlich verwundern. Ihn allerdings hatte bereits der bloße Anblick der Äpfel dazu gebracht, gegen Gottes siebtes Gebot zu verstoßen: Du sollst nicht stehlen. Der 85-Jährige hatte im November vergangenen Jahres in einem Garten etliche Äpfel auf dem Boden vor sich hinfaulen sehen, unzählige reife Exemplare hingen noch ungeerntet im Baum. Der 85-Jährige stieg kurzerhand über das geschlossene Gartentor, schlug mit einem Stock die Äpfel aus der Baumkrone und ließ 40 davon in einer Plastiktüte verschwinden.

Das irdische Fegefeuer in Person der 64-jährigen Grundstücksbesitzerin folgte allerdings prompt. Sie hatte den Mann in flagranti beim Stehlen erwischt und bis zum Eintreffen der Polizei nach Leibeskräften festgehalten. Schließlich habe sie lange darauf gewartet, den Täter endlich stellen zu können. "Immer wieder verschwinden Nüsse und Äpfel aus meinem Garten", sagte sie deutlich mitgenommen und berichtete zur Verwunderung aller, dass der Dieb nach all dem Tohuwabohu die Tüte mit den Äpfeln sogar mitnehmen durfte.

Die zu Hilfe gerufene Polizei fand in den Hosentaschen des 85-Jährigen schließlich zwei Schälmesser, womit der Mann seine Beute in mundgerechte Häppchen schneiden oder faule Stellen beseitigen wollte. Dem Gericht blieb deshalb keine andere Wahl, als den Mann wegen Diebstahls mit Waffen zur Mindeststrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung zu verurteilen. Dass Durchblutungsstörungen im Gehirn des 85-Jährigen - wie in einem ärztlichen Attest behauptet - zur Schuldunfähigkeit des Mannes führten, schloss eine Gutachterin aus. Vielleicht war es der Unterzucker. Oder schlicht die Verlockung des Verbotenen.

© SZ vom 24.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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