Mitten in Dachau:Die Kunst des Parkens

Lesezeit: 1 min

Fahrräder kann man überall abstellen, sogar in der Luft. Allerdings lösen solche unkonventionellen Abstellorte sofort immer wilde Spekulationen aus

Kolumne Von Johanna Hintermeier

Fahrräder sind ohne Zweifel das beste aller Fortbewegungsmittel. Freilich erfährt sich ein Auto mehr Straßenkilometer, doch es bleibt fraglich, wie sehenswert das Meer an Teer deutscher Autobahnen ist. Fest steht, dass das Parken mit dem Radl sich wesentlich einfacher gestaltet als bei allen seinen mit Rädern ausgestatteten Geschwistern. Man muss es nicht mit sich herumschleppen wie ein Skateboard oder einen City-Roller. Auch das Auto kann seinem zweirädrigen Bruder in Sachen Flexibilität und Kreativität beim Parken nicht das Wasser reichen. Zeitbegrenzungen wie "werktags von 21 bis 6 Uhr" ist der Drahtesel nicht ausgesetzt, keinem lästigen Halteverbotsschild und auch keine Parkuhr am Lenker muss eingestellt werden.

Man muss sich jedoch über manch eine Wahl des Abstellorts für Räder wundern. Immer wieder findet sich der treue Begleiter des mobilen Menschen an Parkplätzen wieder, die so gar nicht ihrem Naturell entsprechen. Aus dem Strom des Mühlbachs etwa werden regelmäßig Stahlrösser gefischt. Die Stadt München hatte in den vergangenen Jahren mit in der Natur entsorgten Leihrädern der Firma O-Bike zu kämpfen. An der Münchner Straße Ecke Schillerstraße vor der Sparkasse war in Dachau von vergangenem Montag auf Dienstag ein neuer kreativer Parkplatz gefunden: in der Luft.

Das Fahrrad hing weit oben an einer Straßenlaterne, das Vorderrad über dem Schild "Geldautomat" eingehakt. Auch Beweisfotos aus einer Dachauer Facebook-Gruppe dokumentieren die ungewöhnliche Lagerung. Viele Fragen bleiben ungelöst: Wie kam es dort hin? Ist es sicher vor Diebstahl, so ganz ohne Schloss? Hat die Besitzerin oder der Besitzer es dort abgestellt oder ist es entwendet worden? Ein Facebook-Nutzer will außerdem der Frage nachgehen: Ist das Kunst oder kann das weg?

Fahrradparken als Kunst? Oder als Abfallprodukt? Weichen die Dinge im öffentlichen Raum von der Norm ab, so wird schnell die Frage nach der Kunst gestellt. Der zitierte Spruch hat sich etabliert, als in den 1970er und 80er Jahren gleich zweimal Kunstwerke von Joseph Beuys teilweise in Reinigungsaktionen beseitigt wurden. Einmal wurde eine ausgestellte Badewanne zur Spülwanne umfunktioniert, später wischte eine gewissenhafte Reinigungskraft Teile eines Kunstwerkes weg, die berühmte Fettecke. Seither strapazieren Medien die Frage, ob das Kunst sei oder wegkönne, bis zur Peinlichkeit. Im Falle des Dachauer Radls gratuliert man dem Besitzer jedenfalls zur kunstvollen Park-Idee, hofft aber zukünftig auf praktischere Abstellmöglichkeiten.

© SZ vom 12.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: