Mitten in Dachau:Des Rätsels Lösung

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Die Meisen gelten als Kostverächter, weil sie die mit viel Liebe aufgehängten Meisenknödel missachten. Dabei liegt der Fall ganz anders: Die Krähen stehlen den bunten Vögelchen den Leckerbissen weg

Von Walter Gierlich

Hurra! Das Rätsel der Meise ist gelöst. Erinnern Sie sich? Am Montag war an dieser Stelle eine beredte Klage über die Undankbarkeit des bunten Vögelchens zu lesen. Der kleine Piepmatz hatte die eigens für ihn mit viel Liebe aufgehängten Meisenknödel, die ihm ein erfolgreiches Überwintern ermöglichen sollen, erst schlicht ignoriert, dann in Blitzgeschwindigkeit geleert, nur um das Futter dann wieder mit Verachtung zu strafen und sich überhaupt nicht mehr blicken zu lassen.

Doch geduldiges Abwarten und Beobachten hat zu des Rätsels Lösung geführt. Sie lautet, um ein Zitat aus William Shakespeares Liebesdrama "Romeo und Julia" abzuwandeln: "Es war der Rabenvogel, nicht die Meise." Ein zufälliger, verschlafener Blick in den Garten lässt eines Morgens zunächst nur staunen: Die Meisen da draußen sind aber groß. Nach dem Griff zur Brille ist klar: Das sind ja gar keine kleinen Singvögelchen, das sind ja ausgewachsene Krähen! Und diese beweisen sogleich, warum sie als die Intelligenzbolzen der Vogelwelt gelten. Sie picken nämlich nicht einfach an der aus Fett und Körnern bestehenden Kugel, die da in einem Netz am Baum schaukelt. Nein, sie reißen mit ihren scharfen Schnäbeln das Geflecht auf, so dass die Kugel ins Gras plumpst. Von dort holen sich die gefiederten Schlaumeier dicke Brocken, mit denen sie sich anschließend auf dem nächsten Dach in aller Ruhe den Bauch vollschlagen.

Kein Wunder angesichts der schwarzen Riesen, dass sich die winzigen Meisen nicht mehr an die eigentlich für sie gedeckte Tafel trauen. Es ist halt wie in der Welt der Menschen auch. Die Großen und Starken kriegen die fette Beute, für die zarten Kleinen fallen bestenfalls ein paar Brosamen ab.

© SZ vom 04.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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