Mitten in Dachau:Der Löwenzahn beißt sich durch

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Im Frühling erwacht die Natur, alles sprießt. Aber dann kommen die Männer vom Bauhof, und das zarte Grün wird jäh abgemurkst.

Von Anna-Sophia Lang

Er ist grün, er ist haarig und er lebt in einer Höhle. Sein Hund ist sein einziger Freund. Als ob das nicht reichen würde, ist er auch noch der größte Weihnachtshasser, den die Welt je gesehen hat. Der Grinch ist nicht gerade ein anziehendes Wesen. Aber ihm ist das egal. Er weiß, was er will: Weihnachten verhindern! Deshalb tut er, was am nächsten liegt. Er klaut alle Geschenke. Niemand soll das Fest feiern, das er nicht leiden kann. Mit dem Grinch hat der amerikanische Autor Theodor Seuss Geisel 1957 den Urvater der Spaßverderber geschaffen. Ob man ihm für die Erfindung der unheimlichen Kreatur, die so manches Kind bis in den Traum verfolgt, dankbar sein muss, kann man diskutieren. Den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf getroffen hat er damit trotzdem. Denn Spaßverderber nach Art des Grinchs gibt es überall. Manchmal hat man das Gefühl, Deutschland sei überhaupt das Ursprungsland aller Spaßverderber. Sie sind getarnt als Nachbarn, die sich an zu lauter Musik stören, Männer, die ihre Freundinnen beim zweiten Stück Kuchen schräg anschauen, oder sogar als Mitarbeiter des städtischen Bauhofs.

Exemplare der letzten Kategorie waren neulich wieder in der Dachauer Altstadt zu beobachten. Da mähten sie mit größter Sorgfalt und einem Spezialgerät alle Grashalme und Pflänzchen ab, die aus dem Pflaster, an Mauern oder aus anderen Ritzen im Boden hervor sprossen. Übrig blieben nur zusammengekehrte Haufen ihrer traurigen, zermatschten Überbleibsel. Und warum das Ganze? Ist es nicht schön, gar bewundernswert, wie sich Löwenzahn und Co ihren Weg durch scheinbar undurchdringbares Territorium aus Stein gebahnt haben? Ist nicht Frühling eine Zeit der Erneuerung, in der alles Braune zu Grünem wird und sich endlich Leben Bahn bricht? Sind nicht gerade jene Pflanzen ein Symbol für Freiheit und ein Zeichen gegen Konvention? Na, na, jetzt mal nicht zu emotional werden. Die Antwort ist einfach und logisch: Ordnung muss sein! Pflanzen sollen schließlich da bleiben, wo sie hin gehören. In Vorgärten, Blumenbeete und im Fall des Löwenzahns auf Wiesen (in seinem Beet will das arme Gewächs nämlich auch keiner haben). Also Spaß beiseite. An Blumen kann man sich woanders erfreuen. Wege sind zum Gehen da, nicht für sprießendes Grünzeug.

Um noch mal zurück zum Grinch zu kommen: Der stellte am Ende fest, dass er die Leute nicht davon abhalten konnte, Weihnachten zu feiern, Geschenke hin oder her. So ähnlich ist es auch mit den Pflanzen. Egal, wie oft sie abgesäbelt werden: Sie kommen wieder.

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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