Mitten in Dachau:Der Baum ist nicht mein Freund

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Lange haben wir die Bäume geliebt, sie gepflegt und bewundert. Dafür bombadieren sie uns mit Kastanien und Laub. Geht man so mit Freunden um?

Von Viktoria Großmann

Bäume nerven. Ständig werfen sie irgendwo Schatten, sprengen mit ihren Wurzeln Asphaltdecken, verdecken schmucke Fassaden. Im Frühling verkleben achtlos abgeworfene Lindenblüten Autoscheiben, im September donnern Kastanien Beulen in den Lack und später im Herbst werfen diese Pflanzen auch noch ihre Blätter hinterher. Geht man so mit Menschen und Stadträten um? Die in langen Sitzungen über jede Astbeschneidung diskutieren? Die für jeden Uraltbaum, der sich irgendeine teure Krankheit zugezogen hat, drei zarte neue pflanzen? Behandelt man so Menschen, welche die Natur lieben, sich von ihr verstanden fühlen wollen? Und vor allem: Radfahrer?

Laut Bündnis-Stadträtin Sabine Geißler sind sie die wirklich Leidtragenden des jährlichen Blättertauschs. Jener eitlen, ressourcenverschwendenden Prozedur. Wehe uns Menschen, wenn wir so viele noch passabel aussehende Blätter wegwerfen, um uns neue zuzulegen. Jahrtausende haben die Menschen gelitten, bis ihnen endlich Laubbläser und Laubsauger etwas Linderung verschafften. In der Freisinger Straße aber nützt das nichts, dort schlittern die Radfahrer auf dem taunassen Laub dahin wie auf der Eisbahn. Der Stadtbauhof wird der Naturgewalt kaum Herr. Denn wie Bauamtsleiter Michael Simon auf Nachfrage der Stadträtin ausführte, verkürzte sich in diesem Jahr die Laubabwurfzeit auf ein Minimum. Statt sich nach und nach zu lösen, schüttelten sich die Linden, Eichen und Kastanien einmal kräftig und auf der Erde war nichts mehr wie vorher. Der Kampf begann. Es war ein Zwei-Fronten-Krieg: Hier der Stadtbauhof, da der Hausbesitzer. Sie kehrten und bliesen von zwei Seiten. Zurück blieben: Saubere Vorgärten, reine Straßen - und verlaubte Fahrradwege.

Die natürliche Liebe des umweltfreundlichen Radfahrers zu seinem Freund, dem Baum, hat in diesem Herbst erheblichen Schaden genommen. Das nächste Frühjahr muss zeigen, ob die Zuneigung neu austreiben kann. Eindeutig liegt es beim Baum, den ersten Schritt zu machen. Es ist Zeit für eine große, raschelnde Umarmung!

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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