Mitten in Dachau:Der alltägliche Wahnsinn

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Juristen am Amtsgericht Dachau bekommen täglich den Querschnitt der Bevölkerung präsentiert. Der Weg von der Langeweile zur Sinnfrage kann dabei kurz sein

Kolumne von Viktoria Großmann

Falls Sie Ihr Leben, Ihren Beruf, Ihren Alltag gerade langweilig finden und sich ärgern, dass Sie damals nicht Jura studiert haben, weil Sie dann heute Richter am Amtsgericht Dachau sein und jeden Tag mit dem guten Gefühl nach Hause gehen könnten, dass Sie die Welt wieder etwas besser und gerechter gemacht haben - lassen Sie sich gesagt sein, es war gut, dass Sie nicht studiert haben, was Ihre Eltern wollten. Schon Faust war von der Juristerei angeödet.

Ein Montagnachmittag im Amtsgericht Dachau. Fortsetzung einer Schöffengerichtsverhandlung. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Tatsächlich aber geht es jetzt gerade um einen Streit unter Freunden. Ein Nebenschauplatz offenbar. Zeuge A ist etwas maulfaul. Zeuge B redet mehr, hat aber eigentlich nichts zu sagen. Zeuge C ist höflich, aber hat nichts gesehen. Zeuge D ist Polizist, und man staunt jetzt, was Beamte der Polizeiinspektion Dachau alles so tun müssen an einem schönen Abend im Mai 2017. Zum Beispiel zu jungen Männern ausrücken, die sie wegen Körperverletzung und dem Verschwinden eines Fahrrads rufen, aber dann gar nicht verletzt sind und das Fahrrad später selbst wieder auffinden. Auch der fünfte Zeuge ist Polizist und gibt die verworrene Lage eines anderen Konflikts des Angeklagten wieder. Vater und Sohn beschuldigten sich gegenseitig verschiedener Handgreiflichkeiten und ein Fernseher ging auch noch zu Bruch.

Draußen scheint die Sonne. Die Staatsanwältin lässt den Blick über die verschneiten Dächer schweifen. Die Schöffen versuchen, ihre Gesichtszüge im Zaum zu halten. Der Rechtsanwalt blättert in der Strafprozessordnung. Es nimmt kein Ende. Und irgendwie hat es auch keinen richtigen Anfang. Der Weg von der Langeweile zur Sinnfrage ist kurz. Was machen diese Leute hier, was haben sie miteinander zu tun, wo soll das alles hinführen? Vorerst nirgendwohin. Vielleicht beim nächsten Mal. 81 Prozent der befragten Juristen gaben in einer britischen Studie an, ihren Job langweilig zu finden. Selbst Kundenberater und Buchhalter hatten mehr Freude. Ein bisschen ungerecht ist das vielleicht schon. Immerhin bekommen Richter am Amtsgericht den Querschnitt der Gesellschaft präsentiert. Von aufsässigen Gemeinderäten bis zum bekifften Berufsschüler. Man sollte von Glück sprechen, dass die Menschheit nicht immer nur brandgefährlich und superspannend ist. Sondern meistens ganz alltäglich.

© SZ vom 07.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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