Mitten in Dachau:Das Papier und seine letzte Bastion

Dank mobiler Endgeräte kann heutzutage viel Papier gespart werden. Ganz im Sinne des Umweltschutzes. Nur einen Anwendungsbereich gibt es, für den die Digitalisierung keine Lösung ist

Kolumne von Viktoria Großmann

An dieser Stelle sei eine Buchempfehlung ausgesprochen. In seinem Roman Engelszungen beschreibt Dimitré Dinev Bulgarien zu den Zeiten des Kommunismus. Großvater Ognjan verbringt in diesem Familienepos viel Zeit damit, am Küchentisch sorgfältig auszuwählen, welche Teile der Zeitung sich für Klopapier eignen und welche nicht, bevor er sie sauber in gleichgroße Stücke schneidet. Die falsche Auswahl hatte den Großvater bereits einmal ins Arbeitslager gebracht. Die jüngeren Deutschen kennen Zeitungsklopapier-Ersatz allenfalls aus Kriegserinnerungen der Großeltern oder als nebelige Kindheitserinnerung von einem DDR-Bahnhofskleinstadtklo, das man von vornherein besser nicht aufgesucht hätte.

Heutzutage und hierzulande gibt es Klopapier im Überfluss. Rollen mit und ohne Hülse, mit jahreszeitlichen Motiven, Papier in allen Stärken, sogar mit Pflegezusätzen. Früher war also nicht alles besser. Es war teilweise besser. Und zwar für die Umwelt. Der Bund Naturschutz Dachau lässt deshalb eine frühe Forderung der Umweltaktivisten wieder aufleben: die Mahnung, kein Papier zu verschwenden. Und außerdem möglichst nur recyceltes Papier zu benutzen. Dessen Herstellung spare Holz, Wasser und Energie. Die Stadt Dachau druckt vorbildlich bereits beidseitig auf Ökopapier und versendet umfangreiche Sitzungsvorlagen nur digital an die Stadträte.

Doch die Digitalisierung bietet nicht für alle Lebensbereiche eine zufrieden stellende Lösung. In Ulrich Plenzdorfs "Die neuen Leiden des jungen W." zerrupft der Held in seiner Not auf der Toilette eine Reclam-Ausgabe von Goethes Werther. Den Rest liest er und findet ihn gar nicht übel. Am stillsten Ort der Menschheit offenbart das elektronische Lesegerät seine Schwächen. Zugleich findet sich hier vielleicht die letzte Bastion, in der Zeitungspapierindustrie und Toilettenpapierindustrie gemeinsam noch eine Zukunft haben. Zum Wohle der Umwelt. Sie müssen Ihre SZ ja nicht selbst zerschneiden. Sie im Altpapiercontainer zu entsorgen reicht.

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