Mitten in Dachau:Das Leid des Künstlers

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Illustration: SZ (Foto: N/A)

Wenn Künstler und Kunstkonsument einen unterschiedlichen Geschmack haben, können Schwierigkeiten auftreten. Doch große Kunst stößt seit jeher auf Widerspruch.

Kolumne von Anna-Elisa Jakob

Selbst- und Fremdbild können bekanntermaßen weit auseinander liegen. Insbesondere, wenn es sich um das eines Künstlers handelt. Man erinnere sich an die arme Künstlerseele Van Gogh: Zunächst von seinem Talent überzeugt, wurde er von der Öffentlichkeit angeblich eines Besseren belehrt - später dann doch eine Legende der Malerei. Heutzutage ruft eine Kunstform besonders zwiespältige Reaktionen hervor: Graffiti. Grundsätzlich erfreuen sich die gesprühten Werke wachsender Beliebtheit, auch in das Herz der Dachauer Künstlerstadt dringt die Anerkennung vor. So ließ selbst die traditionsbewusste VR Bank Dachau die hauseigene Tiefgarage von Graffitikünstlern besprühen.

Schwierigkeiten treten jedoch auf, wenn Künstler und Kunstkonsument nicht derselbe Geschmack eint. Oder, schlimmer noch: Wenn letzterer die tiefgründige Aussage des Kunstwerks nicht zu interpretieren vermag. Erst vor kurzem weihte die Greta-Fischer-Schule eine hochgelobte Wandmalerei ein, Hintergrund war die Friedensaktion "Peace Unites". Wenige Tage später sah ein unbekannter Dachauer Künstler die Chance zu seinem Durchbruch: Kurzerhand machte er einen anderen Teil der Schulfassade zur Leinwand für sein Graffiti, leuchtend silberne Schrift auf weißem Grund. Steckte bestimmt auch dieser Künstler seine ganze Kreativität in das Werk, die Kritiken fielen enttäuschend aus. Als "Schmiererei" beschimpft man das Werk. Vor das Selbstbild des Urhebers schiebt sich ein garstiges Fremdbild: Als polizeilich gesuchter Verbrecher steht er jetzt da.

Große Kunst stößt seit jeher auf Widerspruch, besagter Van Gogh schnitt sich aus Verzweiflung darüber sogar ein Ohr ab. Für weitere Aktionen ist dem Dachauer Nachwuchstalent allerdings ein aktueller Trend der Szene zu empfehlen, gesehen nahe der Erich-Ollenhauer-Straße: Hier wird auf durchsichtiger Plane gesprüht, die zwischen zwei Bäumen gespannt ist. Der Reiz des Illegalen geht dabei verloren, mag der Street-Art-Künstler einwenden. Der Pionier der Szene, Banksy, zeigte jedoch, dass die Demontage eines Kunstwerks für weitaus mehr Aufmerksamkeit sorgen kann als seine Erschaffung. Auf einer Auktion in London ließ er eines seiner Werke nach dem Verkauf durch den Schredder laufen. Dem Dachauer Nachwuchskünstler bleibt also noch Hoffnung auf Erfolg: Dafür benötigt er nur eine Bürste, starke Reinigungsmittel - und viel Zeit.

© SZ vom 20.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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