Mitten in Dachau:Am Haken

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Angeln erfreut sich im Stadtgebiet wachsender Beliebtheit. Der Fang von Fischen scheint dabei nicht im Vordergrund zu stehen

Von Gregor Schiegl

Sie sitzen auf rostfreien Klappstühlen im Unterholz, ganz still, oder stehen an der Uferböschung der Amper im winddichten beige-grauen Tarn, ausgerüstet mit Keschern, Eimern, Spinnern, Wobblern und einer Tupperbox voll Mehlwürmern. Im Dachauer Stadtgebiet frönen immer mehr Menschen dem Freizeitvergnügen des Urban Fish Hunting. Sogar unter der Autobrücke sieht man inzwischen Leute die Angelrute werfen, an manchen Abenden wirken die Ufer regelrecht überfüllt, und der unbedarfte Beobachter fragt sich: Was ist da los? Sind das Dachaus Niedriglöhner, die ihr karges Abendessen mit einem selbst gefangenen Bachsaibling aufstocken? Sind es Monsterjäger, die auch mal einen 13-Kilo-Karpfen aus den Fluten ziehen wollen, wie vor einiger Zeit ein toller Hecht vom Fischereiverein Petri Heil Dachau?

Wenn man einen dieser Angel-Maxe ertappt, wie er mit seinem Fangeimer im Dämmerlicht aus den Büschen bricht, stellt man erstaunt fest: nix drin, kein noch so kleines Fischlein. Es kann natürlich sein, dass der Fischfang gar nicht Sinn und Zweck dieser Unternehmung ist. Vielleicht ist das Angeln nur so eine Art Bildschirmschoner für die Seele des Stadtmenschen, eine Form entspannender Untätigkeit ohne Leistungsdruck. Im Tiefkühlfach liegt ja noch eine Packung Fischstäbchen bereit, die muss man nicht mal entschuppen und ausnehmen. Und hat nicht jeder Erfolg immer auch einen Haken, ganz besonders beim Angeln? Fängt man einen Riesenwaller, muss man gleich ein Beweisfoto von dem Vieh machen und es im Internet posten und die Nachbarn zum Fischessen einladen, und dann schmeckt das Biest ganz scheußlich. Und vielleicht klingelt sogar jemand und fragt nach dem Angelschein, den man gar nicht hat.

Da ist es schon besser, die Fische friedlich ziehen zu lassen, und wenn es zu frisch wird, geht man einfach nach Hause und liest ein gutes Buch, wahlweise Melvilles "Moby Dick" oder Hemingways "Der alte Mann und das Meer". Das sind zwei Geschichten über Leute, die im Kampf gegen Wassergetier jede Menge Ärger am Hals haben, der sich am Ende nicht mal lohnt. Der moderne Freizeitfischer sucht den Erfolg gar nicht erst. Er nimmt ihn allenfalls in Kauf.

© SZ vom 29.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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