Mitten in Dachau:Alter Hut, alte Perücke

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Wer alte Sünden entsorgen möchte, sollte gut werfen können. Sonst bleiben sie vor aller Augen an einem Baum hängen

Kolumne von Viktoria Großmann

Am Aschermittwoch ist alles vorbei. Das war nun bereits vor fast drei Wochen und wie bei Firmenweihnachtsfeiern und dem Oktoberfest gilt: Was im Fasching passiert, bleibt auf dem Fasching. Als guter Katholik möchte man daran nachher nicht mehr erinnert werden, schließlich tut man etwa sieben Wochen lang Buße in dem man - theoretisch, meistens, irgendwie - fastet. Zum Beispiel, in dem man Starkbier trinkt. Glücklich, wer dazu noch regelmäßig beichtet, dem wird vergeben und die Welt sieht nach ein paar Rosenkränzen gleich ganz anders aus. Dumm nur, wenn einen die Sünden von gestern weiter verfolgen, weil man sie täglich neu vor Augen hat.

Auf einem Ast eines Baumes, der über die Amper in Dachau ragt, hängt eine schwarz-graue Perücke, die einer Gundel Gaukeley sehr gut stünde. Aber die Haarpracht der Hexe von Entenhausen ist natürlich echt. Wer mit dieser Verkleidung wohl durch die Faschingszeit gezogen ist? Was die Trägerin oder der Träger alles erlebt hat? Jedenfalls kam der Moment, da er oder sie es hinter sich lassen wollte, ausholte und die Perücke weit von sich warf. Richtung Wasser, das sie davon tragen und mit ihr alle Faschingssünden wegschwemmen sollte. Doch wer Unliebsames loswerden möchte, sollte gut werfen können. Unter Alkoholeinfluss geht da meistens etwas schief. So hängt die Perücke da am Ast, als stille Mahnung. Es zeigt sich, dass für alte Sünden dasselbe gilt wie für alte Zeitungen: getrennt entsorgen und recyceln. Als Eierkarton erkennt sie keiner wieder.

Vielleicht zeigt die Natur Erbarmen. Bald wird die Amper Hochwasser führen, das Schmelzwasser wird am Zweig und seiner Last rütteln. Was dann noch übrig bleibt, das zupft ein Vogel vom Baum und errichtet sich ein Nest aus Polyesterhaar. Nächstes Jahr darf es dann vielleicht eine rote Perücke sein - die aber lieber nachhaltig entsorgen. Aus den Augen, aus dem Sinn.

© SZ vom 05.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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