Mitten im Wahlkampf:Richtig bekannt werden

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Die Kandidaten von SPD und CSU für den Bundestag sind nicht nur wenig bekannt, sondern auch wenig erfahren. Der eine versucht es mit Selbstironie, die andere mit optischer Anpassung an die Vorgängerin. Eine kleine Video-Kritik

Von Gregor Schiegl

Der Bundestagsabgeordnete Jakob Maria Mierscheid hat einen eigenen Eintrag in der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Dort ist er geführt als Jahrgang 1933, Mitglied der SPD, der Gewerkschaft Landwirtschaft und Forsten und des Kleintierzüchtervereins Morbach. 2004 hatte er sein 25. Jubiläum als Abgeordneter; sogar ein Steg am Paul-Löbe-Haus in Berlin sollte nach dem Mann benannt werden, den noch nie ein Mensch gesehen hat. Was daran liegen mag, dass Jakob Maria Mierscheid gar nicht existiert. Launige Genossen haben ihn bei einem Besuch der Bundestagskantine erfunden, was die echte Gemeinde Morbach allerdings nicht davon abhielt, zum 80. Geburtstag ihres prominenten Politphantoms einen zwölf Kilometer langen Wanderweg nach Herrn Mierschied zu benennen.

Vielleicht ist auch der für den Wahlkreis Dachau-Fürstenfeldbruck gesetzte Direktkandidat Michael Schrodi so eine Art Mierscheid. In einem Wahlwerbevideo der SPD werden Menschen auf der Straße befragt, ob sie schon mal was von Michael Schrodi gehört hätten. Eine halbe Minute lang sieht man nur ratlose Gesichter in Serie, Schulterzucken oder Antworten wie: "Ich kenne mich im Fußball nicht so aus, Entschuldigung." Diese Ahnungslosigkeit könnte man den Leuten eigentlich kaum verdenken, im heutigen multimedialen Circus Maximus muss man sich ja so viele Namen merken, da kann man schon mal grübeln: Schrodi, Schrodi? Wer? Das Besorgniserregende und Verstörende an der Schrodi-Kampagne ist, dass unter den Ahnungslosen auch ein Lehrerkollege ist und sogar Schrodis eigener Bruder, der stur behauptet, den Namen "Schrodi" noch nie gehört zu haben. Später kennt auf einmal jeder den Schrodi: "Das ist mein Bruder!", "Ein echter Sozialdemokrat!", "Eine Fußball- und Politlegende!" Ja, wer kennt den Schrodi nicht? Man weiß nicht recht, ist das noch sozialdemokratische Selbstironie oder schon die blanke Verzweiflung?

Zu Häme besteht aber kein Anlass: Der Wahlwerbespot von CSU-Kandidatin Katrin Staffler ist auch kein Meisterwerk. Die 35-Jährige steht ins Eck eines Büros gequetscht, offenbar musste unbedingt noch die schicke Stehlampe ins Bild und zwecks farblicher Auflockerung eine grüne Topfpflanze. Brav sagt Staffler ihre biografischen Daten auf ("Abitur am Taschner-Gymnasium in Dachau"), aber im Grunde ist das alles nichtssagend und lenkt nur von der Kleidung ab. Die transportiert nämlich die eigentliche Botschaft: pinkfarbener Blazer und Perlenkette. Das ist eine modische Kombination, die auch die derzeitige Abgeordnete Gerda Hasselfeldt bei öffentlichen Auftritten häufig trägt. Und das ist fast schon raffiniert: Man muss sich nicht unbedingt bekannt machen. Es reicht schon, wenn man richtig verwechselt wird.

© SZ vom 19.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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