Mitten im Landkreis:Sieben Wochen schwindelfrei

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Mit Lügen ist jetzt Schluss! Zumindest vorübergehend, wenn es nach der evangelischen Kirche geht

Kolumne von Gerhard Summer

Die Schotten haben angeblich wahnsinnig viele Wörter für Schnee, mehr noch als die Inuit, aber die Deutschen die schöneren fürs Lügen. Schummeln und mogeln, flunkern und schwindeln - ja, das klingt wunderbar leicht, besser als das dahergeschneite "flindrikin" und das spitze "sneesl" und außerdem nach lässlicher Sünde. Wahr ist allerdings auch: Es gibt im Deutschen überraschend wenige Bezeichnungen für etwas, das angeblich viele dauernd tun.

Zumindest wenn es nach einer Umfrage aus dem Jahr 2016 geht, schwindelt jeder Fünfte den eigenen Partner an, ohne rot zu werden. Jeder Sechste gibt sich als sportlich aus, auch wenn er schon nach fünfzehn Treppenstufen röchelt. Und jeder Vierte versucht, mit alternativen Fakten zum Ziel zu gelangen. Das Fazit der Erhebung: 58 Prozent der Deutschen lügen täglich. An einen kommt aber keiner ran: Donald Trump. Laut Washington Post hat Trump bis zum 30. Dezember 2018 öffentlich 7645 falsche oder irreführende Aussagen gemacht. Das sind im Durchschnitt knapp elf pro Tag.

Doch mit dem großen Beschiss ist jetzt Gott sei Dank Schluss. Bald gilt nur noch die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, die evangelische Kirche will es so. Ihre Fastenaktion heißt heuer "Mal ehrlich! Sieben Wochen ohne Lügen" und begann am Aschermittwoch. Eine tolle Idee! Die katholische Kirche wäre auf so was nie gekommen, einfach aus Zeitmangel, weil sie noch viel mehr alte Lügen aufarbeiten muss als die Protestanten. Die Frage ist nur: Werden diese sieben Wochen auszuhalten sein? Diese 4 233 600 Sekunden Ehrlichkeit? Diese flindrikin truth, wie der Schotte womöglich sagt.

Oh ja, es wird toll. Die Bürgermeisterkandidaten werden in den redlichsten Wahlkampf aller Zeiten starten, Dachauer Stadtratssitzungen beginnen um 18 Uhr und enden um 18.05 Uhr. Tausende Ehepaare werden sich zärtlich Wahrheiten ins Ohr flüstern. Und keiner muss mehr herumdrucksen und sich Ausreden ausdenken. Oder herumeiern, wenn ihn jemand fragt, was er von den neuen Ideen des Chefs hält. Ja, der Landkreis und die Welt werden ein Stückchen besser werden. Und wenn nicht, kann die Kirche auch nichts dafür.

© SZ vom 11.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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