Mitten im Landkreis:Psycholinguistik in der Bäckerei

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Ein Kundengespräch an der Brezentheke kann das Gehirn schon mal an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit treiben

Von GERHARD WILHELM

Forscher vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik im niederländischen Nimwegen haben jetzt herausgefunden, dass die Stille zwischen einem Sprecherwechsel in einem einfachen Gespräch maximal 200 bis 300 Millisekunden dauern darf, damit eine Unterhaltung flüssig klingt. Wird der Zeitraum überschritten, kommt schnell Misstrauen auf. Genauer gesagt, nach 700 Millisekunden Stille. Da kann man sich dann noch so positiv über das Essen äußern - so Recht glaubt es ihm der Gegenüber nicht mehr.

Witzig ist in dem Zusammenhang, dass das Gehirn eigentlich viel länger braucht, um Silben, Wörter oder gar einen Satz zu produzieren, nämlich mindestens 600 Millisekunden, für einen einfachen Satz braucht es fast drei Mal so lange. Dass man schneller antwortet, als man sozusagen denkt, liegt vermutlich daran, dass das Gehirn aufgrund seiner großen Erfahrung sozusagen vorausdenkt, was der andere wohl sagen wird. Anhand seiner Atmung, Blickrichtung, der Satzmelodie, Betonung und einzelner Wörter lässt sich vor allem in Alltagsgesprächen gut abschätzen, wann der andere zum Ende kommen wird. Zum Beispiel, wenn der Kunde beim Bäcker "Drei Semmeln, zwei Brezen und zwei Croissants" bestellt, ahnt die Verkäuferin schon bei dem "und", dass jetzt nicht mehr viel kommen wird.

Meistens. Aber manchmal braucht das Gehirn seine Zeit. Wie jüngst Samstag beim Bäcker, als die Schlange bis zur Türe reichte. "Zwei Brezn, zwei Semmel und eine Mehrkornsemmel." Das "Und" und die darauf folgende Pause von geschätzten 3000 Millisekunden signalisierten der Verkäuferin und den restlichen Wartenden: Fertig.

Grad als alles eingepackt war, schiebt der Mann noch ein "Und zwei Sesamsemmeln" hinterher. Pause. Alle warten. Die Verkäufer macht die Tüte ein zweites Mal zu, als "Und eine Kümmelsemmel" kommt. Deutlich ist anhand Atmung, Blickrichtung und verdrehten Augen der meisten Anwesenden zu sehen, dass ihr Gehirn rast, der Gehirntod wegen Überhitzung kurz bevor steht. Zum Glück kommt aber gerade noch rechtzeitig aus dem Hinterzimmer eine zweite Verkäuferin. "Wer ist der nächste?" Aufatmen. Abkühlen. Alle Systeme zurückfahren.

© SZ vom 21.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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