Mitten im Landkreis:Herbst, ohrenbetäubend

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In früheren Zeiten priesen Dichter die Ruhe, die nach dem Sommer einkehrt. Der Wind war allenfalls durch leises Rascheln zu vernehmen. Die Technik hat dem ein Ende bereitet

Von Walter Gierlich

Es soll viele Menschen geben, die sich freuen, wenn der Sommer endet. Dazu gehören ganz sicher die Münchner Wiesnwirte, die im September Jahr für Jahr das große Geld machen. Auch so mancher Landwirt ist froh, wenn der Herbst Einzug hält, die Ernte eingebracht ist und er nach all der auch nächtlichen Feldarbeit wieder etwas mehr Schlaf findet. Die Wasserwachtler an den heuer besonders gut besuchten Badeseen im Landkreis haben zumindest auf diesem Gefahrengebiet bis zum nächsten Sommer Ruhe, und die Erstklässler in den Grundschulen sind stolz darauf, nun zu den Großen zu gehören, die dem Kindergarten entwachsen sind.

Entsprechend oft wird der Herbst besungen. Die wahrscheinlich berühmtesten Verse über diese Jahreszeit schrieb Rainer Maria Rilke: "Herr es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß./ Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,/ und auf den Fluren lass die Winde los." Und auch Hoffmann von Fallersleben, der Autor der deutschen Hymne, hat dem Herbst einen Text gewidmet: "Nun wird so braun und falbe/ Das schöne Sommerlaub;/ Schon rauscht es von den Bäumen/ Und ist der Winde Raub."

Ach, wären es allein die Winde, die heute zu Räubern werden! Doch längst nicht mehr ist es ein natürliches Lüftchen, das die bunten Blätter mit sich nimmt, vor sich hertreibt und der allenfalls mit einem feinen Rascheln zu vernehmen ist. Wenn Friedrich Hebbel vor mehr als 150 Jahren schrieb: "Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah! Die Luft ist still, als atmete man kaum", so muss man das heute als Märchen aus uralten Zeiten ansehen. Denn von Ruhe kann keine Rede mehr sein, sobald das erste Laub den Boden bedeckt. Dann lässt nicht der von Rilke besungene Herrgott seine Winde los, sondern Hausmeister und Bauhofmitarbeiter werfen ihre Laubbläser an, und dann wird's einfach nur ohrenbetäubend!

© SZ vom 04.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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