Messie-Helfer:"Bloß keinen Druck ausüben"

Lesezeit: 3 min

Jürgen Bonigut kommt, wenn ein Mensch soviel angesammelt hat, dass die Wohnungstür schon kaum noch zu öffnen ist. An der Messie-Akademie in Gauting hat sich der frühere Holzforscher ausbilden lassen und ist nun einer von nur drei zertifizierten Messie-Helfern in ganz Deutschland. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Jürgen Bonigut aus Dachau hilft beruflich Menschen mit Vermüllungssyndrom. Für seine Arbeit bereist er die ganze Republik. Auf dem Land neigen die Leute etwas weniger zum krankhaften Ansammeln von Dingen, sagt er

Interview von Jacqueline Lang

Schätzungsweise zweieinhalb Millionen Menschen in Deutschland leiden an dem sogenannten Vermüllungssyndrom, auch Messie-Syndrom genannt. Im Mai 2015 wurde in Gauting die bundesweit erste Messie-Akademie gegründet. Dort kann man sich zum Messie-Helfer ausbilden lassen und Betroffenen helfen, ihr Problem in den Griff zu bekommen. Ergänzend zu einer Therapie bieten die Helfer praktische Unterstützung beim Ausmisten der Wohnung an. Der Dachauer Jürgen Bonigut, 46, der davor als Holzforscher gearbeitet, ist seit einem Jahr einer der insgesamt drei ausgebildeten Messie-Helfer in Deutschland.

SZ: Wie läuft eine Ausbildung zum Messie-Helfer ab, Herr Bonigut?

Jürgen Bonigut: Die Ausbildung besteht aus zwei Wochenenden theoretischer Ausbildung. Man lernt, wie man mit der Situation und mit den betroffenen Menschen behutsam und einfühlsam umgeht. Zwischen den beiden Wochenenden arbeitet man für acht Tage in einer Messie-Wohnung und lernt die praktische Umsetzung.

Handelt es sich denn um eine staatlich anerkannte Ausbildung?

Nein, die Ausbildung ist bislang nicht anerkannt.

Was hat Sie dazu bewegt, sich als Messie-Helfer ausbilden zu lassen?

Das war ein großer Zufall. Der Leiter der Akademie, Michael Schröter, und ich haben einen gemeinsamen Freund. Im Januar letzten Jahres hat dieser Freund uns einander vorgestellt, weil ich mich beruflich umorientieren wollte und er dachte, der Job als Messie-Helfer wäre vielleicht etwas für mich. Ich habe vor der Ausbildung einige Tage in den Job reingeschnuppert und eine Art Praktikum gemacht. Gleich am ersten Tag habe ich gemerkt, dass die Arbeit zwar körperlich und geistig sehr anstrengend ist, aber auch sehr viel Spaß macht, weil man Menschen helfen kann, die sich alleine nicht mehr zu helfen wissen.

Sie arbeiten seit Ihrer Ausbildung hauptberuflich als Messie-Helfer. Wie kommen Sie an die Aufträge?

Das ist unterschiedlich. Etwa 70 Prozent der Aufträge werden über öffentliche Träger finanziert, wie etwa Landratsämter oder den Bezirk Oberbayern. Der Rest sind private Aufträge. In diesen Fällen kontaktieren mich die Betroffenen oder Angehörige direkt.

Was ist denn Ihr Einsatzgebiet?

Theoretisch bin ich in ganz Deutschland oder sogar in ganz Europa einsetzbar und ich hatte auch bereits Aufträge beispielsweise in Hamburg, Frankfurt oder an der Schweizer Grenze. In der Praxis arbeite ich aber vor allem in einem Radius von etwa 60 Kilometern im Großraum München.

Kann man sagen, wie viele Menschen im Landkreis Dachau betroffen sind?

Meine Erfahrung ist, dass es in ländlichen Regionen etwas weniger Messies gibt als in Großstädten. In München also wahrscheinlich mehr als in Dachau. Dennoch denke ich, dass es realistisch ist anzunehmen, dass gut ein Prozent aller Bewohner im Landkreis Dachau betroffen sind. Unabhängig von Geschlecht, Alter, Einkommen und sozialem Status.

Wann kann man denn davon sprechen, dass jemand nicht nur unordentlich ist, sondern ein Messie?

Da gibt es unterschiedliche Definitionen, aber meine eigene lautet: Wenn die Wohnungstür nur noch zu etwa einem Drittel aufgeht, weil sich dahinter Gegenstände stapeln, wenn in der Wohnung nur noch sehr wenig Bodenfläche sichtbar ist und wenn Zimmer oder bestimmte Bereiche der Wohnung "aufgegeben" wurden, dann ist man meiner Meinung nach ein Messie. Allerdings ist der Begriff Messie sehr schwammig.

Wie würden Sie den Begriff denn differenzieren?

Es gibt reine Messies, die sammeln bestimmte Gegenstände, wie beispielsweise Zeitschriften oder Umverpackungen. Deren Wohnungen sind aber in der Regel nicht stark verschmutzt. Und dann gibt es Müllis, wie ich sie liebevoll nenne. In deren Wohnungen stapelt sich dann wirklich der Dreck, weil sie es nicht schaffen, ihren Müll zu entsorgen. Und zwischen diesen beiden Gruppen gibt es eine große Bandbreite.

Haben Sie einen Tipp, was man tun kann, wenn man selbst betroffen ist oder Angehörige hat, die betroffen sind?

Was man auf gar keinen Fall machen sollte, ist Druck ausüben, sondern auf sehr verständnisvolle Weise mit dem Betroffenen eine gemeinsame Lösung finden. Der Betroffene muss immer eingebunden werden, es geht nicht ohne ihn. Dann würde ich den Menschen natürlich raten, sich an mich zu wenden.

Aber Ihre Arbeit kann eine Therapie doch nicht ersetzen, oder?

Das ist richtig. Aber in vielen Fällen bin ich wie die Feuerwehr, die gerufen wird, wenn es schon brennt. Wir räumen dann, häufig gemeinsam mit den Betroffenen, die Wohnung auf und führen eine Grundreinigung durch. Was sich dann natürlich anschließen müsste, aber leider nur selten der Fall ist, wäre eine psychologische Betreuung.

Warum passiert das denn so selten, wenn doch die Gefahr besteht, dass die Betroffenen wieder rückfällig werden?

Es gibt nach wie vor nur sehr wenige Psychologen, die auf Messies spezialisiert sind. Außerdem schämen sich viele für ihre Situation und suchen sich keine Hilfe. Woran wir aber aktuell arbeiten und was sicherlich hilfreich ist, sind regelmäßige Besuche von Mitarbeitern wie beispielsweise der Caritas oder den Maltesern, die die Lage beobachten, gemeinsam mit den Betroffenen den Anfängen wehren und im Notfall uns Messie-Helfer erneut rufen.

Gibt es auch schöne Erlebnisse in ihrem Beruf?

Wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin, freuen sich die Betroffenen in der Regel immer sehr und sind dankbar über die Möglichkeit wieder alle Räume ihrer Wohnung nutzen zu können. Das ist immer schön zu erleben und definitiv etwas, was ich in meinem vorherigen Schreibtischjob nicht kannte.

© SZ vom 16.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: