Life-Festival in Oświęcim:Schöner Götterfunke, Teil zwei

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Das Projekt "Rebel Babel" des polnischen Rappers L.U.C. bringt Musiker aus ganz Europa zusammen. Mit der Bigband Dachau hat das beim Life-Festival in Oświęcim so gut geklappt, dass beide Seiten nun eine Fortsetzung der Kooperation anstreben

Von Gregor Schiegl, Dachau / Oświęcim

Wenn man auf einer Bühne vor 5000 Leuten auftritt, nebenbei gesagt auf derselben Bühne, auf der kurz zuvor der weltberühmte Carlos Santana gespielt hat und die Rock-Haudegen von Europe, müsste man da nicht überschäumen vor Begeisterung? Jan van Meerendonk, Schlagzeuger der Bigband Dachau, nickt nachdenklich. Noch immer hat er die Bilder im Kopf, sie haben sich förmlich eingebrannt in sein Bewusstsein, noch jetzt scheinen sie manchmal unvermittelt auf. Aber es sind gar nicht die Bilder von der zwanzig Meter breiten Bühne, den Zuschauermassen und den imposanten technischen Soundanlagen, sondern die Szenen aus der Gedenkstätte Auschwitz. Am Tag vor dem Konzert waren die Musiker noch an der Rampe gewesen, dort, wo die deportierten Juden in Viehwaggons ankamen und selektiert wurden: Die "Arbeitsfähigen" kamen ins Lager, die anderen wurden in die Gaskammern getrieben. "Ich konnte mir nach dem Gedenkstättenbesuch nicht vorstellen, wie ich jetzt den Schalter umlegen soll", sagt der Musiker. "Das war eine so heftige Erfahrung."

Aber ohne diese Erfahrung wäre die Bedeutung dieses Bigbandkonzerts kaum zu ermessen, nicht die Bedeutung des Life-Festivals, nicht die Tragweite dieser Reise nach Oświęcim, an der neben 18 Musikern der Bigband der Knabenkapelle Dachau auch einige Vertreter des Kreisfeuerwehrverbands mit seinen Jugendleitern beteiligt waren, Mitglieder der Kreisbrandinspektion und eine Delegation des Landkreises mit Landrat Stefan Löwl (CSU)

. Hier geht es um viel mehr, als man in einem knappen Satz sagen kann: Es geht um das Wachhalten der Erinnerung an einen beispiellosen Zivilisationsbruch, es geht um die historische Verantwortung der Deutschen und des Lern- und Erinnerungsorts Dachau, es geht um Völkerverständigung, um Freundschaft und kulturellen Austausch - und nicht zuletzt um das gemeinsame Europa, das über Jahrzehnte aufgebaut wurde, nun aber unter dem Druck von nationalistischen, rechtspopulistischen und unilateralistischen Kräften mehr und mehr zu zerbröseln droht.

Der Ausblick von der großen Festival-Bühne des Life-Festivals ins Publikum ist für die Musiker der Bigband Dachau schon recht beeindruckend. (Foto: OH)

Vor drei Jahren hatten die Landräte von Dachau und Oświęcim eine förmliche Partnerschaft ihrer Landkreise begründet. Landrat Stefan Löwl verbuchte die Reise als vollen Erfolg. "Ich freue mich, dass sich unsere Partnerschaft so vielfältig entwickelt", teilte er mit. "Immer mehr Gruppen und Menschen aus unseren beiden Landkreisen kommen miteinander in Kontakt, lernen sich kennen, tauschen sich zu den unterschiedlichsten Themen aus und lernen auch voneinander." Seit drei Jahren ist das Landratsamt Dachau auch so eine Art Programmpartner des Life-Festivals, das Dachauer Musikern seitdem regelmäßig eine Bühne bietet. Bei einem internationalen Musikfestival solchen Formats ist das ein großes Privileg. 2016 spielten in Oświęcim bereits Kandinsky, 2017 Owing to the Rain, 2018 sind es die Tassilo-Preisträger der Bigband Dachau.

Man könnte es schon fast für Routine halten, aber diesmal ist doch einiges anders: Die Bigband Dachau spielte diesmal nicht ihr gewohnt irrwitziges Repertoire aus Bläsersause mit Beethoven-Techno und Highspeed-Walzern, diesmal waren sie Teil des Projekts "Rebel Babel" des Rappers Łukasz Rostkowski, besser bekannt unter dem Künstlernamen L.U.C.

"Rebel Babel" ist eine wechselnde Formation aus Bläserensembles aus ganz Europa, die Musiker unterschiedlicher Kulturen, Stile und Ansätze zusammenbringt. Etwa 1000 Musiker konnte L.U.C. so bereits vereinen und damit quasi die "größte Band Europas" schaffen. Neben den 18 Dachauern tummelten sich noch zwei komplette polnische Orchester auf der Bühne, dazu Rapper L.U.C. und eine Horde Cheerleader, alles in allem gut hundert Leute. Dank guter Vorbereitung klappte das Zusammenspiel perfekt. "Das Ensemble war nah dran an dem, was wir auch machen: viel Interaktion auf Zuruf", sagt Schlagzeuger van Meerendonk. "Und Hip-Hop ist in unserer eigenen Musik ja auch mit dabei."

In der Gedenkstätte Auschwitz legt die Dachauer Delegation mit den Landräten Stefan Löwl und Zbigniew Starzec einen Kranz nieder. (Foto: OH)

Die Chemie zwischen der Bigband und L.U.C. war so gut, dass nun sogar eine Fortsetzung von Rebel Babel unter Dachauer Beteiligung möglich erscheint. "Wir überlegen, wie wir das Ensemble nach München oder Dachau holen können", sagt van Meerendonk und erlaubt sich nun doch ein breites Grinsen. Es gebe den großen Willen, etwas zusammen zu machen. "Es hat ja auch sauviel Spaß gemacht." Auch für Löwl war der gemeinsame Auftritt der Bigband Dachau mit den polnischen Musikern der Höhepunkt der Reise: Im Kleinen sei geschafft worden, was das Festival erreichen wolle: "friedliche und freundschaftliche Beziehungen zu schaffen zwischen unterschiedlichen Kulturen und über Grenzen hinweg". Das Life-Festival gibt es seit neun Jahren und zieht jedes Jahr zigtausend Besucher an. Der Slogan "Life. Peace. Music" ist Programm. "Musik hat eine eigene Sprache, auf die man sich schnell einigen kann", sagt Jan van Meerendonk.

Diese "Verbindung auf emotionaler Ebene" hat auch Tilo Ederer, Chef der Knabenkapelle gespürt. "Das hat richtig gekribbelt." Vor der Besichtigung der Gedenkstätten Auschwitz und Birkenau hatte er mit anderen Vertretern der Delegation einen Kranz an der Todesmauer in Auschwitz niedergelegt. Als gebürtigen Dachauer habe ihn dieses Erlebnis in der Überzeugung persönlich gestärkt, dass die Erinnerung an die abscheulichen Verbrechen der Nazis wachgehalten werden müssen. "Das muss der Jugend vermittelt werden: die Achtung vor anderen. Dass Menschen Menschen sind." Er verspüre ein "Gefühl der Dankbarkeit und Zufriedenheit", dass die Politik es geschafft habe, "Europa zu stabilisieren", sagte Ederer. Und der Landrat von Oświęcim, Zbigniew Starzec, betonte, dass die Partnerschaft mit dem Landkreis Dachau das Beste sei, was er jemals initiiert habe. Doch es gibt auch ein latentes Unbehagen. Das hat damit zu tun, dass es jenseits der Politik schon lange vor der offiziellen Partnerschaft einen Austausch zwischen beiden Landkreisen gab. Vor fast 30 Jahren knüpften die Künstler der Dachauer "Gruppe D" erste Kontakte nach Oświęcim. Seitdem gab es einen regen Austausch, auch ohne Grußworte und großes Brimborium, und manche aus der Dachauer Kunstszene verfolgen das Engagement ihres Landrats mit Argwohn: Löwl weiß sich mit seinen Auftritten geschickt zu profilieren. Regelrechtes Missfallen löst aber das scheinbar völlig ungetrübte Verhältnis zu seinem polnischen Amtskollegen Zbigniew Starzec aus. Er gehört der nationalkonservativen Regierungspartei PiS an, die - um es mal ganz vorsichtig auszudrücken - ziemlich problematische Positionen vertritt, auch und vor allem in der Erinnerungspolitik.

In Polen sind die Positionen und nationalistischen Parolen der PiS übrigens keineswegs so unumstritten, wie man das hierzulande gerne glaubt, das wurde bei den Auftritten der polnischen Rapper und Punk-Musiker beim Life-Festival mehr als deutlich. Die Botschaft ihrer Texte ließ sich in etwa so zusammenfassen: "Wir gehören zusammen - und wir lassen uns auch von der Politik nicht auseinander dividieren!"

Dass die Dachauer mit ihren schrillen Verkleidungen und blinkenden Glitzeranzügen neben den uniformierten polnischen Orchestermusikern optisch stark herausstachen, hat übrigens keinen gestört. Die Pressefotografen stürzen sich begeistert auf die Bigband. Vom Veranstalter bekamen sie eine Mail, sie seien "der farbenprächtigste Beitrag" gewesen. Ein schöneres Kompliment kann man beim Life-Festival wohl kaum bekommen.

© SZ vom 28.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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