Leserbrief zu Abschiebung:Leserbrief

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Nicht nachvollziehbar

Leserbrief zum Artikel "Keine Zeit für einen Abschied" vom 22. Juli:

Nur eine Woche liegt zwischen dem abgelehnten Antrag auf Aufenthalt aufgrund nachhaltiger Integration seitens des Landratsamts Dachau und der Abschiebung nach Mali, obwohl die Rechtsmittelbelehrung am Ende des Bescheids eine vierwöchige Klagefrist zulässt. Das bekommt einen sehr faden Beigeschmack, wenn Landrat Stefan Löwl betont, dass die Leitlinie seines Handelns Recht und Gesetz sei. Und dann noch seine Aussage, dass Moussa Nomoko dagegen klagen soll; wenn er Recht bekommt, holen wir ihn zurück. Wie bitte? Was ist das für ein Verständnis von Rechtsstaatlichkeit?

In der Ablehnung von Nomokos Antrags, die er drei Tage vor seiner Abschiebung erlangt hatte, wird mangelnde Integration nach acht Jahren in Deutschland aufgezählt. Er hätte sich nicht zu der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekannt. Als Beweis wird eine schlechte Note in Sozialkunde an der Berufsschule angeführt. Ernsthaft? Wenn jemand das Jugendarbeitsschutzgesetz, Mutterschutzgesetz und Gewerkschaften nicht versteht, dann bekennt man sich nicht zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung? Außerdem habe er keinen Integrationskurs besucht, wird ihm vorgeworfen. Lange Zeit war es Asylsuchenden außerhalb der Top-5-Länder gar nicht möglich, dass sie einen besuchen. Seit eineinhalb Jahren ist Pandemie, und die Kurse finden äußerst eingeschränkt statt. Zudem ist es mit seinen Arbeitszeiten als Bäcker gar nicht so einfach, einen Integrationskurs zu besuchen. Sich ausschließlich auf den Kurs zu konzentrieren, geht auch nicht, denn er muss ja seinen Lebensunterhalt sichern, sonst kann er nicht den Antrag stellen. All das wird nicht bei der Einzelfallprüfung berücksichtigt. Gleichzeitig arbeitete er fast die ganze Zeit seines Aufenthalts in bayerischen Traditionsunternehmen, lebte sogar in einer Personalwohnung bei einem Unternehmen. Bekommt er bei so einer engen Anbindung wirklich nicht mit, wie wir in Deutschland leben, welche Werte wichtig sind?

Außerdem wird argumentiert, sein Deutsch sei nicht ausreichend, als Beweis dient die Note der Berufsschule. Weil er als Analphabet nach Deutschland kam, keine Aufsätze schreiben kann, sich mit der schriftlichen Grammatik schwer tut? Ich kann dem Ausländeramt nur empfehlen, sich mal mit Deutschlehrern an Berufsschulen zu unterhalten, sie wären erschüttert, nicht nur im Hinblick auf Geflüchtete. Sein Chef attestiert ihm, dass er "eine gute Verbindung zum Teig und den Kollegen" hatte. Hat man das, wenn man die Sprache nicht spricht oder versteht?

Und dann der Höhepunkt: Man legt ihm die Tatsache negativ aus, dass er mit Helfern zur Ausländerbehörde kam. Zum einen ist das doch ein Zeichen von sehr guter Anbindung, dass jemand sich die Zeit nimmt und mit ihm hingeht, denn so richtig Spaß macht das uns Helfern nicht. Bei diesen Terminen müssen die Geflüchteten sehr häufig seitenlange Papiere unterzeichnen, die eine erhebliche rechtliche Konsequenz haben. Teilweise sind diese derartig schwierig formuliert und mit Verweisen auf Gesetzestexte versehen, dass es auch den deutschen Begleitern schwerfällt, die ganze Dimension zu verstehen. Und erklärt wird seitens der Behörde nichts! Ist es tatsächlich ein Zeichen von fehlender Integration, wenn man sich Hilfe sucht oder zeigt es nicht vielmehr einen hohen Grad von Integration, weil man alles richtig machen möchte? Es passierte schon häufiger, dass den Geflüchteten bei alleiniger Vorsprache Dinge verweigert wurden, die ein paar Tage später bei einer Vorsprache mit Helfer durchgewunken wurden. Die Ausländerbehörde vermittelt mit diesem Handeln nicht gerade Vertrauen. Das sieht eher nach Übervorteilen aus und mal schauen, ob es jemand merkt. Viele haben große Angst vor diesen Terminen, denn allein der Ton ist oft mehr als gewöhnungsbedürftig.

Die Aussage von Landrat Löwl "wir können nicht dauerhaft einen Haufen Hilfskräfte bei uns haben", ist äußerst schwierig auszuhalten. Allein die Tatsache, dass das Handwerk und auch der Dienstleistungssektor angelernte Arbeiter benötigt, wird dabei ausgeblendet. Aber Moussa Nomoko wurde von seinem Arbeitgeber als Bäckergeselle eingestellt und bezahlt, macht das ein Unternehmer, wenn er nicht die entsprechende Leistung dafür bekommt? Wem steht eine Beurteilung zu, was ein vollwertiger Mitarbeiter ist? Dem Schreibtischtäter im Ausländeramt, der sicherlich noch nie eine Nacht in der Backstube verbracht hat? Ich wünsche denjenigen, die das zu verantworten haben, dass ihnen der Biss von der Breze demnächst im Halse stecken bleibt, weil sie nur noch aus gefrorenen osteuropäischen Teiglingen, gebacken werden. Denn die heimischen Bäcker finden niemanden mehr, der die bayerische Breze noch von Hand dreht! Sieht so die Zukunft aus: #BesteGegend ohne beste Breze?

Nanette Nadolski, Weichs

© SZ vom 04.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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